TEST: Gran Turismo Sport – Ein Schritt vor und zurück

By Patrick Held Add a Comment
13 Min Read

Vor 20 Jahren erschien, damals noch ziemlich verpixelt, das erste „Gran Turismo“ für die PlayStation One. Heute, mehrere Ableger und drei Konsolengenerationen später erscheint mit „GT Sport“ nun der erste Titel für die PlayStation 4 und versucht dabei mit seinen bekannten Stärken zu glänzen. Warum der neueste Ableger doch so viel anders ist, das haben wir uns einmal näher angeschaut.

Weniger ist manchmal mehr

Zu Beginn ein paar Eckdaten: „Gran Turismo Sport“ steht in Sachen Umfang des Fuhrparks und der Streckenliste deutlich hinter „GT6“. Während hier noch über 1.000 Autos zur Verfügung standen, sind es jetzt nur noch 162. Damit liegt „GT Sport“ auch hinter „Project Cars 2“ (182) und deutlich hinter „Forza Motorsport 7“, welches über 700 zu bieten hat. Und selbst diese 162 Fahrzeuge bieten keine wirkliche Abwechslung, wenn etwa bei Nissan mehrere verschiedene Versionen des GT-R zum Kauf stehen, aber kein 370z. Das gleiche Bild zieht sich auch durch die anderen Hersteller. Es wurde doch zu deutlich der Rotstift angesetzt, was die Vielfalt und Auswahl betrifft, wodurch viel des Charmes der Reihe verloren geht. Hervorzuheben ist allerdings, dass alle Fahrzeuge nun als Premium zu bezeichnen sind, denn innen wie außen wurden alles bis ins kleinste Details nachgebildet.

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Dafür liegt man beim Streckenportfolio wieder hinter der Konkurrenz, denn es werden gerade einmal 20 verschiedene Locations in 40 Varianten zur Verfügung gestellt, wobei es reale Strecken wie den Nürburgring oder Suzuka gibt, aber auch fiktive Strecken, die ihren Reiz haben. Leider fehlen wirklich wichtige Strecken wie Spa, Le Mans, Monaco oder Dubai, die eine feste Größe in der Rennsportwelt haben und für große Freude bei Fans und Gamern gesorgt hätten. Hinzu kommt noch, dass die verschiedenen Strecken erst mit voranschreitendem Spielerlevel freigeschalten werden, egal, ob man diese im Arcade-Modus, im Zeitrennen oder im Split-Screen nutzen möchte. Das ist nicht nur ziemlich nervig, da man sich meist direkt auf seine Lieblingsstrecke stürzen möchte, sondern sorgt auch für Frust und Langeweile, weil man anfänglich dieselben Strecken viel zu oft fährt. Dadurch verliert sich recht schnell das Interesse, denn auch der Fortschritt braucht viel zu lange, um die nächste Stufe zu erreichen.

Aber auch bei den wenigen Fahrzeugen gibt es gleich mehrere Hindernisse. Diese sind meist nicht nur ziemlich teuer, was auch mit dem doch eher geringen Einkommen pro Rennen zusammenhängt,  spielt man im Arcade-Modus oder im Split-Screen, stehen einem nur eine Hand voll Fahrzeuge zur Verfügung. Den Rest muss man erst käuflich erwerben, um von seiner Garage aus darauf zuzugreifen. Gerade wenn Freunde zu Besuch kommen wird dieses Feature sehr nervig.

Tschüss Karrieremodus, Hallo Sport-Online Fokus

Eine der kontroversesten Entscheidung, die vom Entwicklerteam getroffen wurde, war die Idee, den Karrieremodus, eines der beliebtesten und besten Features der Vorgänger, zu streichen. Zwar rechtfertigt man sich beim Entwickler Polyphony Digital damit, dass der Modus nicht weg, sondern nur Veränderungen im UI unterzogen wurde und sich nun im Bereich Kampagne wiederfindet, allerdings werden einem hier neben einer ziemlich umfangreichen Fahrschule, in der man mit allem Rund um Steuerung, Fahrzeugverhalten und Kontrolle versorgt und belehrt wird, nur eine Vielzahl von Missionen angeboten, die meist auch schon nach nicht mal 2 Minuten beendet sind. Allerdings ist das absolut kein Vergleich zur alten Karriere, in der man mit einer kleinen Kart-Lizenz startet, an Cups und Events teilnimmt, Verträge unterzeichnet und in neue Rennklassen aufsteigt. Es fehlt hier nun einfach völlig der rote Faden, an dem man sich im Spiel orientieren kann.

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Ebenfalls gestrichen wurde auch das präzise und durchdachte Tuning der Fahrzeuge. Dieses versteckt sich nun in den Wageneinstellungen und ist auf das simple Aufbessern der gesamten Leistung beschränkt, anstatt gezielt auf Motorleistung oder Bremskraft einzugehen. Zwar sagt das Team zu der Entscheidung, dass sich heutzutage kaum jemanden mehr damit auskennt, welche Wirkung ein neuer Luftfilter auf das Fahrzeug hat, aber auch in Titeln wie „Need for Speed“ lassen sich einzelne Komponente der Fahrzeuge austauschen. Und das mit Erfolg. Kein Wunder also, dass sich hier Unmut und Unverständnis unter den langjährigen Fans breit macht.

Eine positive Entwicklung unternimmt hingegen der Online-Modus, auf den dieses Jahr deutlich der Fokus gelegt wurde. Hier wurde ein neues Feature eingeführt, das einen wesentlichen Einfluss auf die persönliche Wertung besitzt: der Sportsgeist! Hierzu lernt man in zwei Video alles, was es über die Rennetikette zu wissen gibt. Danach starten wir in vorgefertigten Events gegen bis zu 24 anderen Fahrern im vollen Programm mit Qualifikation, Warm-Up und dem Rennen selbst. Die einzelnen Rennen ändern sich alle 20 Minuten und können 15 Minuten vor dem Start betreten werden. Das Matchmaking erfolgt dabei anhand unserer sportlichen Leistungen und dem Verhalten auf der Strecke und gelingt überraschend gut.

Im Rennen selbst geht es heiß her, wobei sich tatsächlich alle sehr fair verhalten. Sollte doch einmal jemand ohne Rücksicht abfliegen oder zurück auf die Strecke Schleudern, gibt es ein gelungenes Ghosting-System, in dem die Geschosse locker durchfahren werden können und keinen Schaden anrichten. Je niedriger die Stufe ist, desto freundlicher wird das System, und umso weniger nachgiebig je besser man wird. Leider ist das System nicht fehlerfrei, wodurch wir doch oft unverschuldet in Kollisionen hineingezogen werden und dadurch unsere Sportsgeistwertung abnimmt. Hier muss noch deutlich dran gearbeitet werden, um dem Frust entgegen zu steuern.

Wer lieber sein eigenes Rennerlebnis erstellen möchte, dem stehen sowohl Online als auch Offline zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, Einstellungen bis ins kleinste Detail vorzunehmen. Renndauer, Tageszeit oder KI-Schwierigkeit, all das und noch mehr lassen sich anpassen. Auch Langstreckenrennen lassen sich so abhalten. Leider gibt es keinen dynamischen Wetterwechsel oder voranschreitende Zeit, weshalb man z.B 24 Stunden lang bei Sonne und hellem Licht fährt. Ein wenig mehr Liebe zum Detail wäre wichtig gewesen.

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Insgesamt können die im Spiel vorhandenen Modi auf ihre Weise überzeugen. Sie spiegeln deutlich das wieder, wofür sie stehen, und bringen dabei auch eine solide Leistung. Allerdings wurde auch hier der Rotstrich zu extrem angesetzt, weshalb an allen Ecken und Enden etwas fehlt. Zu wenig Fahrzeuge, zu wenige Strecken, gerade in Bezug auf Bedeutung und Individualität. Hinzu kommen die fehlenden Tuningmaßnahmen und ein schlechter Ersatz für die Karriere, wodurch ein klarer Faden verloren gegangen ist. Auch die fehlende Dynamik bei Wetter und Tageszeit sorgt nicht gerade für Freude. Schön gelungen sind dafür die vorhandenen Modi, gerade im Onlinebereich, bei dem auch der Sportsgeist wirklich gewürdigt wird.

Detailgetreue Boliden, VR-Erlebnis

„The real driving simulator“- mit diesem Slogan wirbt die Gran Turismo-Serie bereits seit Jahren. Kein Wunder also, dass man hier einen hohen Standard an sich selbst stellt, um die Fans nicht zu enttäuschen. Bereits die Vorgänger haben es geschafft, mit guten Fahrzeugmodellen und Darstellungen der Strecken und Umgebungen zu überzeugen. Und auch bei „GT Sport“ steht man dem in keiner Weise nach! Egal ob Kleinwagen wie Golf, Luxuskarosse wie Ferrari oder Sportbolide aus der GT-Klasse, alle Fahrzeuge sehen ihrem realen Vorbild absolut ähnlich und werden dank der vielen kleinen Details sehr liebevoll und realistisch dargestellt. Egal ob Schaltknüppel, Bremslichter, Head-Up-Display oder sogar Türschloss, alles ist akkurat und sorgt dafür, dass man sich sofort wohl fühlt. Gerade die Innenräume wurden hier in Szene gesetzt, da wie erwähnt, nun auch zum ersten Mal in der Geschichte von GT alle Innenräume vollständig ausgestaltet wurden. Hinzu kommen wirklich ansehnliche Strecken mit fast noch schöneren Panoramen, Wäldern oder Wüsten, die abseits der Strecken zum Staunen einladen. In der spielinternen Galerie gibt es zahlreiche Fotos, die sehr häufig die Schönheit des Moments so gut einfangen, dass man kaum zwischen Spiel und Realität unterscheiden kann. Und auch im laufenden Rennen wird dieses Gefühl gut vermittelt, egal ob durch die Spiegelungen auf dem Lack, Funkenflug oder einfach dem Fahrzeug selbst.

Wem das an Realitätsgefühl noch nicht reicht, für den bietet das Spiel einen sehr gelungenen VR-Modus. Hier können wir selbst auf dem Fahrersitz unseres Wunschfahrzeuges Platz nehmen und über alle verfügbaren Strecken im 1 gegen 1 gegen den Computer heizen. Die Erfahrung ist absolut fantastisch, kann auf Dauer aber auch sehr anstrengend werden, gerade für diejenigen, die leicht anfällig für Motion-Sickness sind. Während dieser Modus bereits mit dem Controller Freude bereitet, lässt einen das Spiel mit Lenkrad und Pedalen (die Top Lenkräder für GT Sport) völlig in den Rennsport eintauchen. Selten war man so nah dabei und selten hat es sich so gut angefühlt. In unserem Test sorgte das Lenkrad dafür, dass die Fahrzeuge sich noch besser und präziser kontrollieren ließen, aber auch mit dem Controller hat man ein sehr gutes Fahrgefühl und kann sein Auto gezielt steuern. Das ultimative Feeling erreicht man natürlich in Kombination von VR und einem Lenkrad, was einem nicht nur ein viel besseres Gefühl für Fahrzeug und Strecke gibt, sondern das Immersions-Level in ungeahnte Höhen treibt.

PS4 Pro Bonus, Nostalgiegefühle

In Sachen Grafik profitieren PS4 Pro-Besitzer deutlich von der stärkeren Leistung gegenüber der normalen PS4. Zwar läuft der Titel auf beiden Systemen mit flüssigen und anschaulichen 60fps, auf der Pro wird der Titel je nach Gerät allerdings in einer gestochen scharfen 4k-Auflösung sowie grandiosem HDR dargestellt, welches wegweisend für andere Titel sein dürfte. Selten wurde HDR so gut in Szene gesetzt und brachte so einen großen Benefit wie bei GT Sport! Besonders schön: zu Beginn des Spieles können die Lichtverhältnisse den eigenen Bedürfnissen und Vorlieben angepasst werden, sofern man dies für nötig erachtet.

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Sollte der Bildschirm nicht 4K-fähig sein, so bietet der Titel auf der PS4 Pro einen verbesserten 2k-Bildmodus, bei dem der Fokus auf unterschiedliche Leistungsaspekte gelegt werden kann, damit auch diesen Spielern das bestmögliche Erlebnis geboten wird.

Um für eine rundum gelungene Atmosphäre zu sorgen, wurde auch sehr genau auf die passenden Motorengeräusche geachtet. Diese sind nicht nur passend den einzelnen Fahrzeugen zugeordnet, sie verändern sich zudem auch noch je nach Sichteinstellung, die wir ausgewählt haben, wodurch sich der Klang im Innenraum von dem der 3.Person-Ansicht unterscheidet. Auch die Sounds beim Bremsen oder bei einem Aufprall sind gut umgesetzt worden. Das Gesamtpaket soll durch einen ansprechenden Soundtrack abgerundet werden, der auch in den Menüs für einen edlen und ansprechenden Eindruck sorgt. Auf der Strecke jedoch wird dieser nicht wirklich benötigt, schadet aber auch der Atmosphäre nicht wirklich.

Um der 20-jährigen Geschichte von „Gran Turismo“ Tribut zu zollen, hat man sich bei Polyphony Digital etwas sehr Schönes ausgedacht. So gibt es bei jedem Hersteller eine ausführliche Historie über alle Meilensteine der Firmengeschichten, wie etwa bei Mercedes der Bau der ersten Dieselkutsche, bei Ferrari der Geburt von Enzo Ferrari oder bei Audi der Einführung des Q7. Untermalt wird das Ganze jeweils von den bedeutenden Ereignissen der einzelnen Jahre, wodurch eine schöne Chronologie zu Stande, die nicht nur Fans interessieren dürfte.

TEST: Gran Turismo Sport – Ein Schritt vor und zurück
„Mit „Gran Turismo Sport“ geht die Kulturgeschichte Rennserie neue Wege. Der Fokus wandert mit dem aktuellen Teil deutlich vom Single- zum Multiplayer und macht dafür einige Abstriche: wenig Strecken, unter denen wirkliche bedeutende Schauplätze fehlen, eine recht kleine Fahrzeugauswahl, bei denen sich viele Wagen nur in der Version unterscheiden, kein Tag/Nacht und Wetterwechsel, und vor allem keine Karriere, bzw. eine, die notdürftig durch kurz gehaltene Missionen ersetzt wurde. ABER: Das, was geboten wird, ist wirklich fantastisch. Das Fahrgefühl wird hervorragend an den Spieler weitergegeben, egal ob mit Controller oder Lenkrad, die Strecken und Fahrzeuge beweisen eine große Liebe für kleine Details und sehen dank 4K-Auflösung und gelungenes HDR mehr als nur ansprechend aus. Hinzu kommen eine grandiose Atmosphäre, sowohl durch Bild, als auch durch den Ton in Form von Motorengeräuschen, sowie ein ansprechendes Museum der Motorengeschichte. Ein Highlight sowohl für Fans, als auch für normale Spieler. Auch der Onlinemodus kann durch sein gelungenes Matchmaking und die neue Komponente „Sportsgeist“ überzeigen, während man im Split-Screen von einer absolut unglücklich umgesetzten Darstellung schockiert wird. Besonders hervorzuheben ist der VR-Modus, durch den GT Sport zu einem Muss für PS VR Besitzer wird. Dieser Modus bringt den Spieler in einer ungeahnten Art und Weise auf die Piste, die man einfach erlebt haben muss. Alles in allem ist Gran Turismo Sport ein gutes Spiel, bei dem jedoch zu deutlich der Rotstift angesetzt wurde, durch das, was es bietet, aber dennoch überzeugen kann.“
7.9

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