TEST: Battlefield 1 – Frischer Wind auf dem Schlachtfeld

Christian Götzinger 2 Comments
10 Min Read

Das letzte Jahrzehnt war geprägt von immer moderneren Shootern, die sich gegenseitig mit neuen Spielereien überboten. Nur die Battlefield-Reihe erweckte zumindest den Anschein, dass man annähernd realistisch bleiben möchte, anstatt das Kriegsgeschehen immer mehr auf Drohnen, Jetpacks und Laserwaffen zu reduzieren. Entwickler DICE erkannte scheinbar den Unmut vieler Spieler über die ständige Modernisierung und ging nun einen gänzlich anderen Weg: Anstatt fiktivem Weltungergangsszenario, warten die Schrecken des ersten Weltkrieges auf Käufer des neuen Battlefield 1, wobei der Titel den chronologischen Neuanfang verdeutlichen soll. Nach längerer Testphase stellt sich heraus, dass der frische Wind geglückt ist und Käufer direkt mit der ersten Einzelspielermission die wohl beste erwartet, die ich jemals in einem Shooter gespielt habe.

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Die perfekte Kampagne?

Endlich. Ein Einzelspieler in einem Battlefield, die endlich wieder der Rede wert ist. Nach actiongeladenen und irrelevant wirkenden Kampagnen in Battlefield 3 und 4 – von der völlig verhunzten des Spinoffs Hardline möchte ich gar nicht erst anfangen – schaffte es direkt die erste Mission, mir eine ordentliche Gänsehaut zu verpassen. Nach einer knappen Einführung, welche die Sinnlosigkeit des ersten Weltkrieges verdeutlicht, stehe ich mitten auf dem Schlachtfeld, das offensichtlich schon einige Tage oder gar Wochen heftiger Gefechte hinter sich hat. Die Gegnermassen sind zu viel, sodass ich schnell das Zeitliche segne. Doch statt von vorne zu beginnen, erscheint eine Art Todesanzeige auf dem Bild und ich schlüpfe in die Rolle eines neuen Soldaten. Dies geht so lange, bis ich alle grausamen Kriegsmittel des ersten Weltkrieges am virtuellen Leib zu spüren bekommen habe. Gewehrkugeln, Flammenwerfer, Giftgas, Panzer und erbitterte Gräbenkämpfe umgeben von erbarmunglosem Mörserfeuer. Das Spiel schafft es so die unglaubliche Brutalität dieses Krieges zumindest annähernd darzustellen und erzeugt bei mir eine Ehrfurcht vor der Geschichte, wie ich sie durch ein Spiel noch nie erfahren habe. Einfach alles scheint zu stimmen; realitätsgetreue Grafik, bombastischer Sound, stimmige Musik und ein Spielkonzept, das nicht nur auf die Verherrlichung von Gewalt, sondern die differenzierte Darstellung eines historischen Ereignisses abzielt. „Wow“ denke ich, „das wird mit Abstand der beste Shooter, den ich je gespielt habe“. Leider habe ich mich zu früh gefreut.

Nach Absolvierung der ersten Mission, steht euch erstmals frei zur Wahl, wie ihr eure Reise fortsetzt. Auf einer Karte könnt ihr euch zwischen einer von fünf weiteren Mini-Kampagnen entscheiden. In jeder übernehmt die Rolle einer neuen Person und erlebt den Krieg im Rahmen von zwei bis vier Missionen aus ihren Augen. Stets liegt der Fokus woanders, beispielsweise steigt ihr entweder größtenteils in ein Flugzeug oder in einen Panzer, auch wenn zwischendurch etwas Abwechslung geboten wird. Schnell wird jedoch klar: Man fühlt sich wieder wie in einem normalen Shooter. Die Atmosphäre, welche in der ersten Mission aufgebaut wurde, wird zu keinem Zeitpunkt mehr erreicht. Die einzelnen Geschichten hängen nicht miteinander zusammen und bauen – mit einer Ausnahme, die durch den Abspann zu überzeugen weiß – stets einen übertriebenen und undifferenzierten Heldenmythos rund um euren Charakter auf. Von Realitätsnähe kann höchstens zeitweise gesprochen werden. Die Art Ritterrüstung beispielsweise, mit der ihr euch in den Alpen durch die Entente metzelt, gehört sicherlich nicht zu diesen Glanzmomenten. Mehrfach kommt das Gefühl auf, dass es sich bei der Kampagne nur um ein Tutorial für den Multiplayer und ein Werbeinstrument handelt, da entsprechende Kampagnentrailer natürlich spektakulär aussehen. Mehrfach die Aufgabe zu haben wie im Multiplayer eine Flagge einzunehmen, was nur bei Eliminierung aller Gegner geschieht, die in regelmäßigen Abständen einzeln auftauchen, wirkt keineswegs authentisch und macht auch keinen Spaß. Das soll nicht bedeuten, dass die Kampagne insgesamt schlecht ist, denn sie geht zumindest vom Setting endlich mal wieder in eine andere Richtung, sticht aber qualitativ auch nicht aus der Masse hervor und bleibt weit hinter den zuvor aufgebauten Hoffnungen zurück.

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Frischer Wind auf dem „Battlefield“

Hand aufs Herz: Die wenigsten werden diesen Test lesen, weil sie auf eine tolle Kampagne hoffen. Herzstück des Spiels bleibt der Multiplayer und der ist – ohne es spannend zu machen – absolute erste Sahne, zumindest sofern man sich mit dem Setting arrangieren kann. Neben den klassischen Spielmodi Team-Deathmatch, Rush, Eroberung und der kleineren Variante Vorherrschaft, stehen euch mit Operationen und Kriegstauben auch zwei neue zur Verfügung. Während Kriegstauben wohl eher ein nettes Gimmick darstellt, bei dem ihr es schaffen müsst eine Brieftaube loszuschicken und sogar die Chance habt, die eures Gegners im letzten Moment noch im Flug abzuschießen, ist DICE mit den Operationen ein echter Hit gelungen. Jede Operation umfasst zwei oder drei einzelne Schlachten, in denen ein Team mehrere Angriffslinien vor dem anderen verteidigt. Durch den geschichtlichen Hintergrund, der mithilfe der deutschen Synchronisation vor Beginn und nach Abschluss der einzelnen Missionen geliefert wird, kommt man sich fast wie in einer gigantischen Online-Kampagne vor. Schafft es das verteidigende Team die Angreifer auszuschalten, startet die entsprechende Mission mit dem nächsten Bataillon (aber den gleichen Spielern) neu, jeder an der Angriffslinie, die zuletzt eingenommen wurde. Je nach Intensität der Niederlage steht den Angreifern dann aber ein Behemoth, in Form eines großen Luftschiffes, Panzerzuges oder Kampfschiffes, zur Verfügung. Diese sind sehr mächtig, durch einen koordinierten Angriff der Verteidiger aber zu bewältigen, wodurch sie das Spiel nur unfair machen. Sollten alle Bataillone vor Ende der gesamten Operation ausgeschaltet werden, gewinnen die Verteidiger, die Ergebnisse der einzelnen Missionen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Dieser zusammenhängende Aufbau der einzelnen Schlachten vermittelt ein völlig anderes Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Team und dem virtuellen Kriegsgeschehen, da die Bedeutung einzelner Gefechte in den Vordergrund gerückt wird. Eine wirklich gelungene Idee!

Sinnvolle Änderungen

Insgesamt traf man bei der Konzeption des Multiplayers einige Entscheidungen, die das Balancing und das Spielerlebnis deutlich verbessern. Zwar werden einige es sicher als störend empfinden, dass Fahrzeuge nicht mehr einfach so herumstehen, immerhin müssen sie aber nicht mehr als Gadgets eingesammelt werden, wie es bei Battlefront der Fall ist. Stattdessen können sich Gefallene nun direkt in den Fahrzeugen wieder auf das Schlachtfeld schicken lassen. Allerdings müssen sie dann zu Fuß auf einige Waffen verzichten, was die Motivation erhöhen soll, nicht zu Lasten des Teams einfach direkt mit dem Fallschirm auf das Schlachtfeld zu springen oder den Panzer fast unerreichbar in der Walachei stehen zu lassen. Zudem erhält so jeder Spieler die Möglichkeit, die Fahrzeuge einmal auszuprobieren, ohne an ihrem Spawnpunkt übernachten zu müssen. Ebenso wurde deutlich mehr Wert auf Teamplay gelegt. Wer als Späher Gegner markiert, anstatt am anderen Ende der Karte mit dem Bauch auf einem Berg zu legen und doch niemanden mit dem Scharfschützengewehr zu treffen, wird mit ordentlichen Punkten belohnt. Markierte Gegner und auch Fahrzeuge können vom gesamten Team leicht verfolgt werden und sind teilweise auch durch Gebäude sichtbar. Auch die Truppführer können ihrem Team Befehle erteilen, die dann nach erfolgter Ausführung Bonuspunkte gewähren. Somit werden Einzelgänger nur schwer auf die höheren Plätze gelangen.

Insgesamt kann man natürlich in jeder Suppe ein Haar finden, dennoch ist das Erlebnis im Multiplayer gemessen an realistischen Maßstäben absolut erstklassisch, Daumen hoch!

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Technisch über den Erwartungen

Die Grafik von Battlefield 1 kann sich vor allem in Einzelspieler sehen lassen. Die düstere Stimmung kommt gut rüber und die Lichtreflexionen wirken zwar teilweise ein wenig übertrieben, sehen aber phantastisch aus. Auf der Playstation 4 sieht man selten eine solche Grafikpracht. Bei einer Schlacht mit 64 Spielern muss man bei der Grafikqualität natürlich ein paar Abstriche machen, da der Fokus hier auf der Performance liegt. Für die technischen Voraussetzungen wurde dies fast einwandfrei umgesetzt. Nur selten kommt es zu leichten Rucklern. Auch die Soundeffekte sind ohne Makel und unterstreichen das bedrückende Kriegsgeschehen, jedoch ist die Abmischung eine kleine Katastrophe. Die deutsche Sprachausgabe ist teils völlig undifferenziert, Stimmen aus der Ferne klingen als stünden die Sprecher neben der Spielfigur. Das größte Problem ist aber die Verteilung auf ein Surround-System. Geräusche lassen sich sowohl im Einzel- als auch im Mehrspieler kaum einer Richtung zuordnen. Von richtigem Surround-Sound kann daher nicht die Rede sein. Hier muss DICE dringend nachbessern, denn selbst kleine Studios bekommen dies deutlich besser hin und bei Battlefront ist es ja auch gelungen!

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TEST: Battlefield 1 – Frischer Wind auf dem Schlachtfeld
"Battlefield 1 gelingt es die bedrückende Stimmung des ersten Weltkrieges in ein Multiplayer-Spiel zu packen. Sinnvolle Änderungen, ein nahezu perfektes Balancing und abwechslungsreiche Szenarien machen es zu dem besten teambasierten Shooter, den es auf aktuellen Konsolen zu kaufen gibt. Die Einzelspieler-Kampagne bietet jedoch gewohnte Kost, die größtenteils auf eine differenzierte Darstellung des Kriegsgeschehens verzichtet, und bleibt daher nach einem genialen Auftakt hinter den aufgebauten Erwartungen zurück."
8.6
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