TEST: Agatha Christie: Mord im Orient Express – Alter Schnurrbart, moderne Zeiten

By Patrick Held Add a Comment
7 Min Read

Vielen dürfte der sympathische Schnurrbart aus Belgien mit dem dazu gehörenden Privatdetektiv Hercule Poirot inzwischen ziemlich bekannt sein. Nicht nur die Romane von Kultautorin Agatha Christie erfreuen sich einer großen Bekanntheit, auch die inzwischen drei modernen Filmadaptionen können sich durchaus sehen lassen und erfreuen sich einer großen Fanbase. Der letzte davon, „A Haunting in Venice“, ist sogar gerade erst im September 2023 erschienen. Passend dazu veröffentlicht das Team von Microids und ihrem hauseigenen Studio in Lyon entwickelt und veröffentlicht, mit einem völlig neuen Glanz. Doch kann die bekannte Geschichte immer noch überraschen? Das finden wir in unserem Test zu „Agatha Christie: Mord im Orient Express“ heraus.

Schnauzer und Smartphone

Im Kern ist die Geschichte identisch zur Romanvorlage aus dem Jahre 1934: Hercule Poirot möchte mit dem luxuriösen Orient-Express von Istanbul nach London reisen. Überraschenderweise ist der Zug vollständig ausgebucht und nur durch seine Beziehungen zum Direktor der Eisenbahngesellschaft, Monsieur Buoc, der ebenfalls an der Reise teilnimmt, bekommt er noch einen Platz an Bord. Unglücklicherweise bleibt der Zug auf der Strecke aufgrund von Schneeverwehungen stecken. Doch nicht nur das: es hat in der Nacht einen Mord gegeben! Ganz klar, dass nur Hercule Poirot diesen Fall und alle dazu passenden Geheimnisse und Verschwörungen aufklären kann. Ein verzwickter Fall voller Intrigen, Herausforderungen und Wendungen, die das Werk zu dem Erfolg machen, der er ist.

Allerdings weicht die Handlung in „Agatha Christie: Mord im Orient Express“ ein wenig von der des Romans ab. So spielt die Handlung nicht um die 1930er Jahre herum, sondern im Dezember 2023. Smartphone, Laptop, elektronischer Safe etc. inklusive. Tatsächlich steht dieser Sprung ins moderne Zeitalter der Handlung hervorragend und bringt einen frischen Wind in die Geschehnisse. Doch nicht nur das, auch eine neue Figur wurde eingebunden, die es so bisher nicht gegeben hat: Joanna Locke ist ebenfalls Privatdetektivin und an Bord des Orient Express. Mit ihr erforschen wir in Rückblenden die Umgebung der Route rund um eine völlig neue Nebenhandlung und bekommen so noch einen anderen Blick auf den Fall und die Hintergründe der einzelnen Protagonisten der Tour.

Microids hat sich wirklich Gedanken gemacht, wie man seine Fans gut unterhalten kann – mit einer Geschichte, die viele inzwischen bereits kennen. Und dafür haben sie etwas gewagt und das tatsächlich hervorragend gemacht. Man wird nach wie vor überrascht und stellt alles infrage, was man bisher weiß, ohne den Geist des Ursprungs zu vernachlässigen. Genau so muss eine Neuadaption sein.

Die kleinen, grauen Zellen

In Sachen Gameplay erinnert Agatha Christie: Mord im Orient Express stark an die Sherlock Holmes-Spiele aus dem Hause Focus Home Interactive. Wir sammeln in der 3rd-Person Perspektive Hinweise, Schlüsselobjekte und befragen alle Protagonisten und sammeln so Informationen, die wir in unserem Kopf in Form einer Mindmap verknüpfen, Rückschlüsse entwickeln und Zusammenhänge darstellen. So kommen wir nach und nach der Lösung immer näher.

Um ein wenig Abwechslung ins Spiel zu bringen, bekommen wir auch die ein oder andere Nebenmission aufgebrummt. So müssen wir etwa die Zutaten im Kühlschrank so anordnen, dass alle Puzzleteile darin Platz finden. Oder wir müssen uns Mühe geben, um zu erkennen, aus welchen Zutaten der exquisite Nachtisch besteht, um an das Rezept zu kommen. Joanna Locke bietet uns dabei Hinweise aus der Vergangenheit und erstellt so einen Zeitstrahl aller Geschehnisse, um sie besser einordnen zu können.

Anders aber als in den Sherlock Holmes-Titel können wir in diesem Titel keine wesentlichen Fehlentscheidungen treffen, und so jemand unschuldigen hinter Gittern bringen. Die Handlung ist hier eher linear und Fehler leuchten nur kurz auf und lassen sich direkt korrigieren. Dennoch muss man erst einmal die verschiedenen Rätsel und Herausforderungen lösen, für die es auch nicht immer einen Hinweis gibt. Das Level der Rätsel ist dabei sehr gelungen austariert und wirkt nicht überfordern, sondern sehr ansprechend und regt an, immer weiter und in allen Ecken nachzuforschen.

Das Gameplay in „Agatha Christie: Mord im Orient Express“ ist insgesamt sehr gut gelungen. Es ist abwechslungsreich und passt gut zur gesamten Handlung und Geschichte. Alles fügt sich gut zusammen, auch die neuen Abschnitte mit Joanna Locke sind eine willkommene Ergänzung, um sich nicht immer nur auf demselben Abschnitt des Zugs zu bewegen.

Schöne(r) neue(r) Look

Auch in Sachen Grafik kann sich „Agatha Christie – Mord im Orient Express“ durchaus sehen lassen. Die gesamte Aufmachung erinnert stark an die Darstellung von Ridley Scott und seinen Filmen. Sogar die Charakterdarstellung von Poirot selbst passt zu der von Kenneth Branagh, ein moderner, aber eleganter Belgier mit dem charakteristischen Schnurrbart, einem unverkennbaren Charme und einer Präsenz, die ihresgleichen sucht. Aber auch die anderen Charaktere geben einiges her und passen gut zu ihrer Rolle sowie ins gesamte Werk. Die Abschnitte von Joanna Locke sorgen für eine willkommene Abwechslung zu den engen Zimmern und dem schmalen Flur des Zuges, in dem wir uns sonst nur von A nach B bewegen können. Ebenfalls sehr ansprechend ist die hervorragende Synchronisation mit deutscher Lokalisierung. Jede Figur hat den zu ihrer Herkunft passenden Akzent oder Dialekt, und auch Betonung, ja sogar die Mimik machen es möglich, Lügen zu erkennen und Rückschlüsse bilden zu können.

Das alles fügt sich mit einem ansprechenden Soundtrack und dem zugleich ansprechenden und abwechslungsreichen Gameplay zu einer tollen Atmosphäre zusammen, die einen fesselt und immer weiter dazu animiert, neue Geheimnisse aufzudecken und jeden noch so kleinen Winkel zu erforschen. Wer mal nicht weiter weiß, der kann zur Not auf Hinweise zurückgreifen, sollte man einmal komplett auf dem Schlauch stehen. Tatsächlich sind wir sogar etwas überrascht, wie abwechslungsreich das Spiel gestaltet ist.

Fazit

TEST: Agatha Christie: Mord im Orient Express – Alter Schnurrbart, moderne Zeiten
"Microids hat es geschafft, mit Agatha Christie: Mord im Orient Express" einen Klassiker neu aufzulegen und in die heutige Zeit zu übertragen. Wir bekommen eine tolle Inszenierung mit einer ansprechenden Darstellung und einem gelungenen Gameplay, das zum Nachforschen einlädt. Hier und da könnte der Titel etwas an Tempo vertragen, und leider fehlt es nach der Lösung an Wiederspielwert, insgesamt gibt es aber wenig auszusetzen. Mit der Handlung um Joanna Locke wurde die Story gut ergänzt, ohne zu verfremden. Wir sind positiv überrascht und hoffen, dass es mehr in diese Richtung zu sehen geben wird."
Pro
Bekannte Story mit neuen Elementen
Gelungener Sprung in die heutige Zeit
Ansprechendes und abwechslungsreiches Gameplay
Tolle Atmosphäre und grafische Darstellung
Kontra
Fehlender Wiederspielwert nach dem Ende
Linearer Ablauf, keine Fehlentscheidungen
Hin und wieder fehlt es an Tempo
8.5

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