TEST: Everybody’s Gone to the Rapture – Vom Ende der Menschheit

By Trooper_D5X Add a Comment
7 Min Read

Der unabhängige Entwickler The Chinese Room ist bekannt für seine außergewöhnlichen Spielkonzepte und schart mit Titel wie „Dear Esther“ oder „Gone Home“ bereits eine kleine und eingeschworene Fangemeine hinter sich zusammen.

Mit „Everybody’s Gone to the Rapture“ steht nun das neueste Projekt des britischen Entwicklers bereit, das in Zusammenarbeit mit den Santa Monica Studios entstanden ist und mit dem man doch recht große Risiken eingeht, vielleicht sogar schon zu große. Vorne weg sollte einem klar sein, dass man für diese Art von Spielen offen sein muss und die nur dann funktionieren, wenn man selbst bereit oder dazu in der Lage ist, selbst viel mit hinein zu interpretieren. Andernfalls stellt man sich am Ende die Frage: ‚Was war das eben? ‘, sofern man bis dahin nicht schon aufgegeben hat. Aber selbst dann wird man mit „Everybody’s Gone to the Rapture“ noch vor eine echte Geduldsprobe gestellt.

Die Apokalypse ..

Schauplatz von „Everybody’s Gone to the Rapture“ ist das englische Dorf  Yaughton rund um Shropshire in den 80er Jahren, an dessen Hügel eure Reise beginnt. Das Dorf ist Menschenleer, in der Ferne sind einige unverständliche Funksprüche durch ein Radio zu hören, überall liegen persönliche Habseligkeiten herum, Fahrzeuge wurden anscheinend panisch mitten auf der Straße zurückgelassen und es herrscht eine bedrückende Atmosphäre, vergleichbar mit dem Dorf Lincoln in „The Last of Us“. Eine noch qualmende Zigarette lässt darauf schließen, dass es noch nicht lange her sein kann, was auch immer hier passiert ist. „Everybody’s Gone to the Rapture“ wird den Spieler nicht an die Hand nehmen, sondern zwingt ihn dazu, sich selbst auf Erkundung zu begeben und herauszufinden, welch katastrophales Ereignis sich hier zugetragen haben muss.

Everybodys Gone to the Rapture,  (1)

Mit langsamen Schritten nähern wir uns den Häusern mittelständischer Familien, betreten Zimmer um Zimmer, können hier und da ein TV oder ein Radio einschalten und frühere Aufzeichnung offensichtlicher Wissenschaftler mithören, die bereits zu ahnen scheinen, dass eine Katastrophe unmittelbar bevor besteht. Wenige Schritte weiter taucht ein Licht vor uns auf, ein erster echter Hinweis, dem wir folgen und das uns durch das gesamte Spiel führen wird. Es weist uns den Weg und offenbart kürzlich stattgefunden Gespräche zwischen den Einwohner, die als geisterhafte leuchtende Gestalten auftauchen. Je tiefer wir in das Dorf vordringen, umso mehr erfahren wir über die Einwohner, hören Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, die zunehmend besorgt sind, über Beziehungen zwischen den Einwohnern und einer nahenden Hilfe, die von einer Grippeepidemie spricht. Es sind immer nur kleine Hinweise, die einem „Everybody’s Gone to the Rapture“ vor die Füße wirft und die viel Spielraum für Interpretationen zulassen. So war mein erster Gedanke keine Grippeepidemie, sondern eher eine Art Alien-Phänomen, welches das Dorf heimgesucht hat. Dieses Zusammenspiel aus offensichtlichen Hinweisen und eigener Interpretation ist es, was die Geschichte so spannend vorantreibt und einen wissbegierig darauf macht, was einem am Ende tatsächlich erwartet.

Mit dazu beitragen tun auch die realen Situationen, wenn man einmal den Gesprächen lauscht, die sich um echte Probleme und Sorgen drehen, die Angst vorm Alleinsein, heimliche Beziehungen und Liebschaften unter den Einwohnern, Gewalt und Verbrechen oder wenn geliebte Verwandte oder Partner gestorben sind, welche man nicht loslassen möchte. Obwohl man die Charaktere nie zu Gesicht bekommt, entsteht dadurch eine echte Empathie und Mitgefühl für diese und zieht einen noch mehr in das Spielerlebnis hinein. Ergänzt wird dies schließlich  von dem fantastischem und orchestralen Soundtrack, der euch die ganze Zeit über begleitet und stets an den richtigen Stellen auffährt, aber punktuell auch mal komplett aussetzt und somit eine gespenstige Atmosphäre herrscht. Grafisch gesehen ist der Titel seit seiner ersten Ankündigung ein echter Hingucker und vergleichbar mit „The Vanishing of Ethan Carter“, was ungemein zur Atmosphäre im Spiel beiträgt, auch wenn das Dorf an sich völlig Menschenleer ist. Trotz dieser überschaubaren Umgebung von Shropshire wird ausreichend Abwechslung geboten, die von einer Vorstadtidylle, über Farmen und einem Campingplatz reicht.

Everybodys Gone to the Rapture,  (2)

Eine spielerische Geduldsprobe …

So künstlerisch man „Everybody’s Gone to the Rapture“ bis hier hin ausgeschmückt hat und der Spieler beinahe seine eigene Geschichte schreibt, erfordert es aus spielerischer Sicht sehr viel Geduld. Da wäre zum einen das Tempo, mit dem sich eurer Charakter durch das Dorf bewegt, was eher einem Stealth- & Schleichspiel gleicht  und insbesondere den Aspekt des Erkundens ermüdend werden lässt, vor allem dann, wenn man sich etwas verrannt hat und man ewig lange Wege zurücklaufen muss. Sicherlich gehört es zu einem gewissen Maße zu dem Konzept des Spiels, da man aber möglichst viel hinterfragen und auch abseits des Weges gehen möchte, wäre es wünschenswert, wenn man an dieser Stelle etwas mehr auf die Tube drücken würde. Darüber hinaus fehlten mir einige Interaktionen mit der Umgebung, die sich tatsächlich nur darauf beschränken, mal ein Telefon, TV oder Radio einzuschalten. Hier hat The Chinese Room die Chance vertan, die Geschichte mit etwas mehr Hintergrundwissen anzureichern und letztendlich eindeutig zu klären, was sich in Yaughton zugetragen haben muss. Was man aus Sicht der Story, der Grafik und Atmosphäre mit viel Liebe aufbaut, wird so schon fast zu Nichte gemacht.

Nachtrag: Laut Entwickler The Chinese Room lässt sich die Spielgeschwindigkeit durch das Drücken der R2-Taste über mehrere Sekunden etwas steigern, was das Spieltempo geringfügig anhebt. Gefühlt ist diese Lösung jedoch zu langwierig, als das man hierdurch einen echten Motivationsschub erhält, sich noch ausgiebiger in Yaughton umzuschauen.

Entwickler: The Chinese Room
Publisher: Sony Computer Entertainment
Release: 11. August 2015
Offizielle Homepage: www.playstation.com

TEST: Everybody’s Gone to the Rapture – Vom Ende der Menschheit
Wer Spiele wie „Dear Esther“ mochte, für den wird auch „Everybody's Gone to the Rapture“ genau das Richtige sein, ein Story-getriebenes Erkundungs-Adventure, dessen Geschichte man zum Teil selbst schreibt und interpretiert. Die einsame Atmosphäre, der gewisse retro-mystische Touch und die Gesamtpräsentation wissen zu gefallen, auch wenn das Spiel durch seine teils spielerischen Schwächen in gewissem Maße über die eigenen Füße stolpert und die Motivation weiterzumachen nicht selten am Boden ist.
8.6
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