Wenn sich acht Teenager auf einer abgelegenen Berghütte mitten im Wald treffen, um einem Unglück zu gedenken, dass gerade einmal ein Jahr zuvor zwei Freunden unter mysteriösen Umständen das Leben an diesem Ort gekostet hat, dann ist das doch die perfekte Vorlage für einen Horrorfilm oder noch viel besser für ein Spiel. Wenn man jetzt noch die glorreiche Zeit der Teen/Slasher-Horrorfilme der 90er Jahre mag, dann hat man mit Sonys und Supermassive Games „Until Dawn“ einen echten Glücksgriff gelandet.
Viel wurde im Vorfeld über dieses Konzept diskutiert, da eben jene Filmvorlagen ein doch spezielles Publikum haben und am Ende auch selten echtes Oscar-Material abliefern. Wie passt das nun also in ein Spiel? Ganz einfach, in dem man damit genau das macht, wofür Spiele gemacht werden – nämlich unterhalten. „Until Dawn“ schafft dies auf eine herrlich erfrischende Weise und zeigt, dass auch im Horror-Genre noch viel Potenzial steckt und alternative Ansätze vorhanden sind.
Unterhaltung statt puristischer Horror ..
Die meisten Horror-Titel versuchen sich daran, eine unheimliche Atmosphäre zu erschaffen, die Spieler in ein Unbehagen zu führen und ihnen das Fürchten zu lehren. Selten gelingt dies den Machern auch und oftmals endet es dann doch in einem Shooter. „Until Dawn“ geht hier einen etwas anderen Weg, versucht einen schnell an die Charaktere zu binden, bezieht diesen aktiv in das Geschehen mit ein und schafft durch das Verbinden unterschiedlicher Stile echten Unterhaltungswert. Am besten funktioniert dies zudem, wenn man „Until Dawn“ in einer kleinen Gruppe vor dem Bildschirm genießt.
So setzt man hier nicht nur auf einen oder zwei Hauptakteure, nein hier werden gleich ganze acht geboten, damit möglichst auch jeder im Publikum seinen Lieblingscharakter küren kann. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass man sich dabei den klassischen Stereotypen bedient. Da wäre zum einen die sexy Sam, die Zicke Emily, der smarte Chris, der mutige Mike oder die etwas dümmlich wirkende Ashley usw. Den ein oder anderen davon möchte man am liebsten direkt über die Klippe stoßen, anstatt ihn die nächsten Stunden ertragen zu müssen – mit etwas „Glück“ passiert dies aber auch schneller als man glaubt.
Zur Story selbst möchte man gar nicht viel sagen, bei der ziemlich schnell klar wird, dass ganz typisch der Filmvorlagen wie „Scream“ oder „Ich weiß was du letzten Sommer getan hast“ ein Killer umher wandelt und jedes Jahr nach neuen Opfern Ausschau hält. Da man die meisten dieser Filme kennt, wird auch „Until Dawn“ zunächst recht vorhersehbar, seltsame Ereignisse gehen vor, die Gruppe trennt sich, hier und da verschwindet plötzlich einer, man geht den Dingen auf den Grund und beschließt letztendlich – wir möchten nur noch entkommen, und das möglichst lebend. Dennoch weiß auch „Until Dawn“ mit einer Wendung zu überraschen, die man so nicht vorhersehen wird. Anschließend kommt ein kurzer ‚Oh nein‘-Moment, der einem durch den Kopf geht, um es letztendlich logisch und äußerst interessant zu Ende gehen lässt. Für einige Minuten beschleicht einen tatsächlich das Gefühl, jetzt hat man das Spiel ruiniert, rettet es allerdings mit der Auflösung um die Geschehnisse auf diesem Berg, womit „Until Dawn“ nicht nur die klischeebehaftete Filmeecke verlässt, sondern sich auch mehr auf Horrorspielikonen wie „Project Zero“ zubewegt. Etwas enttäuscht zeigt man sich eher schon darüber, dass es dann so abrupt endet.
Das ist allerdings zu verschmerzen, denn „Until Dawn“ bietet seit langem mal wieder einen echten Wiederspielwert. So liegt es an euch, wie viele Charaktere letztendlich überleben und den nächsten Morgen erreichen. Stirbt nur einer auf diesem Weg dahin, werdet ihr wirklich verblüfft darüber sein, wie sehr sich dies bei einem zweiten Durchlauf auf das gesamte Spiel auswirkt, würde eben jener Charakter überleben.
Der Butterfly Effect …
Zugrunde liegt dem das Butterfly Effect-System, das auf kurz oder lang den Spielverlauf, die Beziehungen zwischen den Charakteren und Story drastisch beeinflusst. Ein simples Beispiel ist hier einfach den falschen Weg zu nehmen und so dem Killer direkt in die Arme zu laufen – das unvermeidliche Aus für den Charakter. Längerfristig gesehen blieb mir die Szene mit dem Wolf im Gedächtnis – mit dem man sich beim ersten Aufeinandertreffen gut stellen sollte, da euch dieser dann im späteren Verlauf als lebensrettender Companion zur Seite steht. Das Butterfly Effect-System greift in „Until Dawn“ an fast jeder Ecke und immer ist es schwierig zu entscheiden, was nun das Richtige ist oder ob man hin und wieder gar keine Wahl trifft. Auch das ist möglich und rettet euch unter Umständen das Leben. Verglichen mit Genre-Vertretern wie aktuell „Life is Strange“ setzt zwar auch Supermassive auf schwerwiegende Entscheidungen, so wirklich emotional gehen einem diese aber nicht, sondern formen eher das Spiel in unterschiedliche Richtungen.
Dies liegt zum Teil aber auch an den schauspielerischen Leistungen der Charaktere, die durchweg genau die Ansprüche erfüllen, die man von einem vergleichbaren Film erwarten würde. Gespräche sind recht oberflächlich gehalten und einen tieferen Sinn darin muss man auch nur selten suchen. Das hat absolut nichts damit zu tun, dass einfach nicht mehr möglich war, sondern dass die Filmvorlagen auch heute noch so sind und man diesen möglichst gerecht werden wollte. Dieses Ziel hat man wohl vollends erfüllt.
Erschrecken statt gruseln …
Da ist sie wieder, die Frage nach dem was „Until Dawn“ aus spielerischer Sicht sein soll. Inzwischen sollte man sich daran gewöhnt haben, dass es mehr als nur traditionelle Erfahrungen gibt und in diesem Fall springt man in die gleiche Ecke wie die einstigen Vorreiter „Heavy Rain“ oder „Beyond: Two Souls“, sodass man sich bei „Until Dawn“ wieder auf jede Menge Quick-Time-Events, Erkundungs- und Fluchtpassagen, sowie einige Rätsel freuen darf. Oft liegt es aber auch an euch, wie viel Hintergrundwissen man alleine durch das Erkunden anreichert. Und last but not least, jagt euch hier ein Schreckmoment nach dem anderen, die man in der Tat so häufig und gezielt einsetzt, dass es zum wesentlichen Spielelement wird.
In diesem Punkt zeichnet sich „Until Dawn“ wohl am meisten gegenüber Genre-Vertretern aus. Je weiter man voranschreitet, desto paranoider scheint man zu werden und erwartet mit jedem Schritt, dass irgendetwas über den Bildschirm springt, die Lautsprecher aufschreien und man seinem Sitznachbarn auf den Schoß hüpft. Da wird das geringste Zuknallen einer Tür zum nervenaufreibenden Spannungsmoment erklärt, innerlich liegen die Nerven ohnehin blank und gerade dann, wenn man es nicht erwartet, setzt man euch mit einem echten Schockmoment zu. Hier kommt auch das aberwitzige Reaction-Cam Feature zum Einsatz, das euch in diesen Momenten aufzeichnet und in er einer hübschen Gruselgalerie vorführt.
Obendrauf setzt „Until Dawn“ auf viele Features des DualShock 4 Controller, sodass hier zum Beispiel das Touchpad zum Einsatz kommt, um Seiten umzublättern, die Bewegungssensoren, um Dinge zu greifen und von allen Seiten zu betrachten und als persönliches Highlight die Lightbar. Erfordert es gerade, dass man sich verstecken muss und dabei keinen Millimeter bewegen darf, muss der Controller für einige Sekunden absolut still gehalten werden, um so nicht entdeckt zu werden, was einen aktiv mit ins Spielgeschehen einbindet.
Der schönste Schnee in einem Videospiel …
Was man bei „Beyond: Two Souls“ bereits hervorragend durch den Cinematic- und Kamerastil gelöst hat, haut einen bei „Until Dawn“ noch mehr aus den Socken. Bereits das Setting rund um die Berghütte, dem alten Sanatorium und den Minen wurde perfekt für die Story gewählt und erinnert zum Großteil an die „Silent Hill-Serie“. Durch den Generationswechsel, den „Until Dawn“ hinter sich hat, konnte man natürlich in vielen weiteren Bereichen deutlich zulegen, insbesondere bei der Beleuchtung, bei den Nahaufnahmen der Charaktere und deren Close-Ups, die derart realistisch umgesetzt worden sind, dass es schon fast wieder unheimlich ist. Obendrauf gibt es in „Until Dawn“ wohl den schönsten Schnee in Videospielen zu bestaunen, aber leider auch teils massive Framerateeinbrüche.
Davon abgesehen, ist man auch aus Sicht der Synchronisation etwas über das Ziel hinausgeschossen, zumindest in der deutschen Vertonung. Hier arbeitet man offenbar etwas zu großzügig mit Stilfiltern, sodass fast alle Stimmlagen verzerrt klingen oder so, als würde man die ganze Zeit durch einen Telefonhörer mit euch sprechen. Beheben lässt sich dies momentan nur, indem man auf die Originalvertonung wechselt. Die restliche Soundkulisse hingegen passt wieder wunderbar und sollte unbedingt mit einer Surroundanlage genossen werden. Da werden auch die Schockmomente gleich viel effektiver.