Stell dir vor, du gehst die Straße entlang, ein Mann mit Cappy, Gesichtsmaske und Mantel streift dich leicht im Vorbeigehen, ein kurzes „Sorry“ kommt über seine Lippen und du machst dir keine weiteren Gedanken darüber. Was du nicht weißt ist, dass dieser Moment ausreichte, um dein Smartphone zu hacken, Schadsoftware zu installieren, sämtliche Daten herunterzuladen und ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, einschließlich Name, Kontostand, Beruf und geheimster Interessen.
Genau dieses Szenario ist in Ubisoft´s „Watch_Dogs“ alltäglich; eine total vernetzte Stadt, dessen hypermoderne Infrastruktur nicht nur Kriminellen dienlich ist, sondern auch den Schöpfern dieser Technologie sowie unserem Protagonisten Aiden Pearce, der diese für seine ganz eigenen Zwecke missbraucht. Die Erwartungen an „Watch_Dogs“ sind enorm hoch und über keinen Titel wurde in den letzten Monaten häufiger diskutiert, für den sich Ubisoft sogar mehr Zeit genommen hat, als ursprünglich geplant. Ob sich der Aufwand gelohnt hat und ob „Watch_Dogs“ das erhoffte Next-Gen Open-World-Adventure ist, das wir alle herbei sehnen, das erfahrt ihr jetzt.
Die ersten Minuten von „Watch_Dogs“ wussten bereits in unserem Hands-On zu begeistern, die den Grundstein für die gesamte Story legen. Ein Mix aus aufwendigen Zwischensequenzen, ruhigen Story-Passagen und Action-Einlagen versprechen viel. Aiden nutzt seine zwielichtige Vergangenheit dafür, um den Mann aufzuspüren, der Monate zuvor seinen Tod in Auftrag gegeben hat und bei dem es am Ende die Falsche traf – seine Nichte.
Über 37 Missionen jagt ihr also diese unbekannte Person und stürzt euch dabei in ein Open-World-Adventure, wie es im Buche steht. Auch wenn Ubisoft den Vergleich mit dem wohl bekanntesten Vertreter dieses Genres – GTA- nicht gerne hört, kommt man nicht drum herum diese anzustellen. Es finden sich mindestens genau viele Parallelen wie auch Unterschiede in „Watch_Dogs“ wieder. Was das Franchise-Debüt dabei hauptsächlich unterscheidet ist, dass man sich, die Story und die Charaktere deutlich ernster nimmt. Kein ‚Fuck‘ in jedem zweiten Satz, kein Psychopath in der Hauptrolle und auch keine Ufos am Meeresgrund; nein „Watch_Dogs“ vermittelt von Anfang an ein glaubwürdiges Szenario und eine ernstzunehmende Story, die einem nach den jüngsten Enthüllungen rund um die NSA und dem Kanzler-Handy gar nicht mehr so weltfremd erscheinen. Sozusagen ein fast perfektes Timing für Ubisoft.
Auch unseren Darstellern, allen voran dem Protagonist und begabten Hacker Aiden Pearce nimmt man seine Rolle glaubhaft ab, der von keiner irren Idee oder einer Besessenheit der Weltherrschaft vorangetrieben wird. Er sucht Rache, die Männer hinter dem Anschlag und dabei zu allem gewillt. Überraschenderweise wirkt Aiden als eine recht gelassene und ausgeglichene Person, der alles sorgsam plant und es selten übereilt angeht, trotz seiner Vergangenheit als Cyber-Krimineller, mit anschließenden „Ferien“ im Gefängnis. Trotz seines Charakters und seinem geläutertem Dasein, ist Aiden mit seinen Fähigkeiten nicht zu unterschätzen.
Weiterhin im Mittelpunkt steht das Unternehmen ‚The Blume Corporation‘, die eine Technologie namens ctOS entwickelt haben und die eine solch vernetzte Welt erst möglich macht. Gleichzeitig werden von Blume Unmengen an Gelder in die Überwachung der Gesellschaft gesteckt, persönliche Daten im großen Stil gesammelt und das Recht auf Privatsphäre mit Füßen getreten.
Wo Daten, da auch Hacker! Von berühmten Gruppierungen wie Anonymous inspiriert, tritt ‚DedSec‘ ins Bild, eine Hacker-Gruppierung, die verdeckt gegen ctOS kämpft und die für die Rechte der Bürger eintreten, in ihrem Bestreben das Bewusstsein der Menschen im digitalen Zeitalter wieder etwas wachzurütteln. Hier lernt ihr unter anderem den Akteur ‚ BadBoy17‘ kennen, eure erste Verbindung zu DedSec, dessen aktive Beteiligung sich Aiden im Spiel jedoch entzieht.
Die Letzten im Bunde sind die ‚The Black Viceroys‘, eine kriminelle Vereinigung, angeführt vom versierten Anthony “Iraq” Wade, die ebenfalls fleißig Daten sammeln, um anschließend damit Leute zu erpressen. Genau diese Daten und dessen Know-How sind für Aiden äußerst wertvoll, weshalb auch deren „Zusammenarbeit“ von ungemeinem Interesse für euch ist.
Chicago als Spielplatz …
Mit Chicago als Schauplatz in „Watch_Dogs“, drittgrößte Stadt der USA und wichtiges Handelszentrum, hat man sich ebenfalls gegen ein fiktives Setting entschieden. Das merkt man spätestens an den 100 echten Sehenswürdigkeiten, die es im Spiel zu entdecken gibt und die einen immer wieder daran erinnern, dass ein solches Szenario schon jetzt Realität sein kann. Ausgestattet mit über 5000 Kameras, einer voll vernetzten Infrastruktur; von der Ampel, über Brücken, bis hin zu Wartungsschächten in den Straßen, lässt sich alles kontrollieren und vor allem manipulieren.
Auch wenn Chicago nicht die größte Spielwelt ist, die man jemals gesehen hat, ist der Kontrast in den einzelnen Stadtteilen deutlich sichtbar. Die Innenstadt mit ihren Wolkenkratzern, abgegrenzte Industriegebiete oder ein idyllischer Vorstadtbezirk, von dem sich ein traumhafter Blick über die Skyline bei Nacht bietet. Besonders die Weitsicht in „Watch_Dogs“ weiß zu beeindrucken, mit der man aufzeigt, was man von zukünftigen Open-World Spielen erwarten darf. Obendrein wird hier die gewohnte Lebendigkeit geboten, wie man sie schon aus Spielen wie Assassin´s Creed kennt und die an jeder Ecke dazu animiert, alles aufs Genauste zu erkunden. Sogar die Stadtbahn lässt sich so nutzen, die zu einem Minitrip über den Chicago River einlädt. Ein persönliches Highlight ist dabei ‚Der Bunker‘, ein Hacker-Versteck, wie es sich wohl jeder wünscht und das mitten in der Großstadt gelegen ist.
Aiden unser Meister-Hacker …
Um seinem persönlichen Ziel näher zu kommen, ist Aiden auf die Hilfe der unterschiedlichen Gruppierungen angewiesen und sie für seine Zwecke zu nutzen. Da bleiben gegenseitige Gefallen nicht aus, die auch schnell zu größeren Problemen und fragwürdigen sowie kriminellen Aktivitäten führen können. Hierdurch erschafft Ubisoft ein angenehmes Spieltempo, das neben Hack- und Stealth-Passagen immer wieder für actionreiche Einlagen sorgt. Verdeckter Hackerangriffe sind dabei genauso effektiv, wie offensive Waffengewalt. Häufig hat man die Wahl, wie man seine Mission bewältigen möchte … infiltriere ich ein Gebäude, hacke mich von Kamera zu Kamera und entkomme unbemerkt oder wähle ich den brachialen Weg und schieße mir den Weg bis zum Ziel einfach frei. Eine eintönige Routine kommt dabei selten auf, da einem die Stadt unzählige Möglichkeiten bietet, seine Mission zu bewältigen. Konvois können mit Hilfe von gehackten Straßenpollern blockiert werden, Verfolger mittels hochgezogenen Brücken oder Nagelbänder abgehängt, Gegner in Fallen gelockt oder mit Explosionen ausgeschaltet.
Immer wieder gerät dabei eure Familie in den Brennpunkt des Geschehens, sowie scheint Erpressung unter Hackern ein Tagesgeschäft zu sein, so dass ihr immer wieder gezwungen seid, Jobs die ihr eigentlich gar nicht machen wollt, zu erledigen und dabei zu hoffen, bei den eigenen Interessen weiter voran zu kommen. Zusätzlich lenken euch zahlreiche Nebenmissionen ab, potenzielle Gewaltverbrechen, Minispiele, ctOS Kommunikationszentren zu hacken, kleinere Hintergrundgeschichten wie die dunklen Geschäfte der Cops oder zur Entspannung ein Trip in eine Alternate Reality World, in der man zum Beispiel als Spinnenroboter die halbe Stadt zerlegen kann. Es gibt in Chicago also viel zu tun!
Watch_Dogs Real Life …
Eines der interessantesten Features in „Watch_Dogs“ ist die Online-Komponente, bei der sich gleich mehrere Spieler in eurem eigenen Spiel aufhalten und jederzeit einen Hackangriff auf euch starten können. Aus dem Nichts werden Daten von eurem Smartphone gestohlen, was umgehend Handlungsbedarf erfordert. Mittels Profiler-App, mit Hilfe von Kameras oder was euch gerade zur Verfügung steht, müsst ihr den Hacker in euer Umgebung aufspüren und ausschalten, womit ihr euch in der Hacker-Community einen echten Namen machen könnt. Ein solcher Hackangriff kann euch zu jederzeit treffen. Umgekehrt könnt ihr aber auch selbst auf andere Spieler Jagd machen, um euer Ansehen bei Erfolg weiter zu steigern. Auch gemeinsames Hacken mit anderen Spielern zusammen ist so möglich, bei denen ihr ganze Datensätze gemeinsam stehlen dürft. Klingt erst einmal recht simpel, verleiht dem Spiel aber eine äußert interessante Komponente, die trotz der wenigen Spieler, die in der ganzen letzten Woche online waren, genutzt wird.
Was man jedoch liebevoll in das Missions-Design gesteckt hat, wird durch das Gameplay wieder ausgebremst. Ein Kritikpunk dabei ist das Deckungssystem, bei dem Aiden an jeder Wand beinahe festklebt. Gerade in hektischen Situationen ist das mehr wie hinderlich und man verliert schnell die Kontrolle darüber, wo man eigentlich hin möchte oder rennt im ungünstigsten Fall zur falschen Deckung. Eine echte Fummelei mit dem Controller! Ebenso schwierig ist das Waffen- und Fertigkeiten-Menü, das zu verstrickt aufgebaut ist und es bald unmöglich macht, in brenzligen Situationen und wenn es mal eilt das Richtige zu finden oder erst noch herstellen zu müssen.
Für den Rest stehen euch allerhand nützliche Tools und Gadgets zur Verfügung, eben was ein Hacker alles in seinem Leben braucht. Im Mittelpunkt dieser ist Aidens Smartphone, der Schlüssel zur digitalen Welt und ein echtes Wunder-Tool. Da wäre die Möglichkeit Blackouts (eines der coolsten Features) auszulösen, Smartphones anderer Passanten zu hacken oder die Kommunikation anderer zu stören. Mit viel Geschick lassen sich mittels solcher Hilfsmittel und den Möglichkeiten in eurer Umgebung Missionen komplett verdeckt erledigen oder auch taktisch vorbereiten. Auffällig hierbei ist, dass alle eure Taten auch Konsequenzen haben. Das Töten von Passanten schlägt sich in eurem RUF nieder, wilde Schießereien ziehen die Polizei auf euch, die mithilfe von ctOS eine Rasterfahndung starten, Opfer rufen auch gerne mal die Polizei usw. Bei Ubisoft hat man fast in jeder Hinsicht alles daran gesetzt, dass „Watch_Dogs“ so authentisch wie möglich ist und nicht völlig überzogen oder realitätsfern wirkt, was ihnen letztendlich auch gelingt.
Die Sache mit der Grafik
Dass „Watch_Dogs“ nicht so aussieht, wie man es damals zur ersten Präsentation gezeigt hat, war eigentlich zu erwarten. Aber dass man das Spiel selbst auf PlayStation 4 „nur“ in 900p präsentiert, lässt berechtigte Zweifel zu. Ich war ein wenig hin und her gerissen, zwischen einer teils tollen Umsetzung und einem ‚alles schon mal gesehen‘. Es ist wohl das Gesamtbild von „Watch_Dogs“ von dem man sagen kann: ‚ Ja, das ist das was ich von einem Next-Gen Titel erwarte‘ und im Vergleich zur PS3 so wohl nicht möglich wäre. Die Zwischensequenzen sind alle spitze, die Weitsicht im Spiel ist auch super. Texturen, Vegetation, Animationen wissen ebenfalls zu gefallen. Physik, Feuer- und Raucheffekte haben nie besser ausgesehen.
Dann stößt man jedoch auf unsauberes Kantenflimmern, unschöne Nebenakteure, hier und da schlichte und unscharfe Details, die einen doch noch zu sehr daran erinnern, wie es auf der älteren Hardware war. Ist die Cross-Gen Entwicklung daran schuld? Setzt die Hardware hier schon Grenzen oder bräuchte es einfach noch mehr Zeit? Das wird man wohl erst zukünftig erfahren. Betrachtet „Watch_Dogs“ als Ganzes, dann fallen auch die fehlenden 180 Zeilen nicht auf und ihr könnt das Spiel durchweg genießen, vor allem in den nächtlichen Stunden des Spiels, in denen Chicago nie schöner aussah. Wer einen direkten Vergleich auf der PS4 sucht, der findet mit „inFAMOUS: Second Son“ aus Sicht der Grafik ein besseres Beispiel in diesem Genre. Aus Sicht der Performance läuft „Watch_Dogs“ dafür angenehm rund.
Die Soundkulisse in „Watch_Dogs“ darf man hingegen uneingeschränkt genießen. Tolle und angenehme Synchronsprecher, ein passender Soundtrack und Hacking-Effekte sorgen stets für die richtige Stimmung. Hin und wieder sind vielleicht ein paar Synchronsprecher-Rollen nicht so besetzt, wie man es vielleicht erwartet hat. Das sorgte jedoch mehr für Erstaunen als Enttäuschung darüber.
Entwickler: Ubisoft Montreal
Publisher: Ubisoft
Release: 27. Mai 2014
Offizielle Homepage: www.watchdogs.ubi.com
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