Kommentar zur Gamescom: Sony, EA & Co. – Hochmut kommt vor dem Fall

By Christian Götzinger 21 comments
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Am Ende der gamescom vermeldet die weltgrößte Videospielemesse neue Rekorde: 25% mehr Fachbesucher, 1227 Ausstellende und 230.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Mit 320.000 Besuchern fanden zwar weniger Besucher als zu den Hochzeiten vor der Pandemie ihren Weg nach Köln, doch im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet man auch hier große Zugewinne und präsentiert sich daher höchstzufrieden. Schaut man sich jedoch die umfangreiche Liste der Aussteller an, wird jedem das, was man vor Ort nicht übersehen konnte, schnell klar: zahlreiche Größen fehlten. Woran liegt das und was bedeutet das für die Branche?

Branchenführer pfeifen auf die gamescom: zu Unrecht

Neben dem bislang noch erfolgreichsten Konsolenhersteller Sony leisteten sich unter anderem EA, Activision Blizzard und Square Enix teils zum wiederholten Male keinen Stand. Auffällig ist: Es sind genau die Platzhirsche, die ansonsten für das Marketing einzelner Titel ein zwei- bis dreistelliges Millionenbudget reservieren. Activision Blizzard, das Marken wie Call of Duty und Warcraft unter sich vereint, gab alleine im letzten Jahr insgesamt 882 Millionen Dollar für Marketing aus. Wie kann es sein, dass man an einer Präsenz auf dem größten Branchenevent verzichtet? Betrachtet man die spärlich gesäten Kommentare zu den namhaften Abwesenheiten, muss man wohl vor allem von einem Grund ausgehen: Überheblichkeit.

An Besuchern fehlte es auf der Gamescom in diesem Jahr nicht

Auf der einen Seite scheint man der Meinung zu sein, man könne es mit eigenen Events besser. So kündigte Sony nun sicherlich nicht aus Zufall genau parallel zum Start der Gamescom das neue Hardware-Portfolio an und stößt damit aufgrund eines fragwürdigen Preis-Leistungs-Verhältnisses aktuell selbst bei jahrelangen Verfechtern der Playstation-Plattform auf wenig Gegenliebe. Eine Präsentation auf der gamescom, gespickt mit Testmöglichkeiten von tausenden Besuchern und damit einhergehend auch Influencern, hätte die Reaktionen vielleicht etwas gemäßigter ausfallen lassen. Auf der anderen Seite ist man vielleicht der Meinung, man habe überhaupt keine großen Vorstellungen mehr nötig. Nicht umsonst scheiterte Microsofts Übernahme von Activision / Blizzard neben der Cloud-Frage unter anderem auch an der Markenmacht des Shooter-Königs Call of Duty, bei dem man wohl gottgegeben davon ausgeht, man verkaufe das Spiel auch so. Damit begeht man einen Kardinalsfehler des Marketings: Werbebudget mit der Begründung zu kürzen, es laufe ja aktuell, also während oder kurz nach weitreichender Werbemaßnahmen, missachtet den Anteil ebendieser Maßnahmen und überhöht die vermeintliche Marktposition. Nicht selten lacht dann die Konkurrenz zuletzt.

Indie-Entwickler kapern die weltgrößte Spielemesse

Aus dieser Abstinenz der Großen ergeben sich Chancen für andere. Indie-Entwickler nehmen immer mehr Raum auf der Messe ein und überzeugen im Vergleich zu den immer gleichen AAA-Ablegern durch Abwechslungsreichtum und Kreativität. Besucher haben mehr Zeit dafür, durch die meist nur mit einer einzigen Spielstation versehenen Messestände zu stöbern, da man eben keine absurd hohe, teils zweistellige Stundenzahl für eine zehnminütige Spielesitzung des gefühlten dreiundvierzigsten Call of Dutys investieren muss, oder besser kann. Genau dies macht auch einen wichtigen Reiz dieses bunten Events aus, der damit auf viel mehr Besucher überschwappt und sich hoffentlich auf Dauer auch positiv auf die Verkaufszahlen der meist äußerst knapp finanzierten Titel kleiner Entwicklerstudios auswirken wird. Wenn man über die diesjährige gamescom schlenderte, bekam man den Eindruck, diese Diversifizierung qualitativer Spiele schrumpfe die Szene quasi gesund, denn es knüppelte sich eben nur noch vor einer überschaubaren Anzahl an Ständen besonders stark.

Kleinere Titel stehlen den Großen die Show auf der gamescom 2023
Kleinere Titel stehlen den Großen die Show auf der gamescom 2023

Aber auch ein gewisser Schaden für die gesamte Branche ist eben nicht von der Hand zu weisen. So fiel der Gesamteindruck von befragten Besuchern zur Messe zwar in der Regel äußerst positiv aus, gleichzeitig wurde häufig auch angegeben, große Titel spürbar vermisst zu haben. Damit bleibt bei einigen Spielebegeisterten trotz der eingangs angesprochenen Superlative ein gewisses Gefühl von verringerter Bedeutung zurück, der sich auf Dauer negativ auswirken könnte. Nicht umsonst nehmen bzw. nahmen eben doch jährlich genug Menschen eine absurd hohe Wartezeit in Kauf, um die besagten AAA-Titel zu spielen, was auf eine enorme Zugkraft schließen lässt.

Die betroffenen Branchenriesen sollten sich somit auch im Sinne des gesamten Wirtschaftszweiges überlegen, ob sie ihre Überheblichkeit beibehalten und damit einen neuen Besucherrekord in den nächsten Jahren auch weiterhin unwahrscheinlich machen wollen. Auch aus Eigenschutz sollten sie dies überdenken, denn Hochmut kommt vor dem Fall. Gerade Sony sollte dies angesichts des überzeugenden Auftritts von Microsoft – sowohl auf dem Messegelände als auch bei der politischen Eröffnung, bei der sich Phil Spencer, Microsoft Gaming CEO, persönlich die Ehre gab – genau hinterfragen. Früher oder später wird man eine Häufung solcher kundenentfremdender Strategien nicht mehr hinnehmen und vielleicht doch zur vermeintlich sympathischeren Konkurrenz wechseln, welche vor Ort für die Fans zu greifen ist.

Wie fällt euer Fazit zur diesjährigen gamescom aus und was sagt ihr zur Bedeutung der Abwesenheit einiger Branchengrößen? Schreibt es uns in die Kommentare!

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