Nach dem Release des Standalone Addons „The Old Blood“, erschien nun mit „Wolfenstein II: The New Colossus“ der vollwertige Nachfolger des 2014 veröffentlichten ersten Teils. Die berühmt-berüchtigte Reihe rund um den Kampf gegen ein nationalsozialistisches Imperium, das den zweiten Weltkrieg gewonnen hat, überschreitet auch dieses Mal wieder neue Grenzen hinsichtlich der Gewaltdarstellung. Trotzdem – so viel sei bereits verraten – handelt es sich keineswegs lediglich um ein gewaltverherrlichendes Spiel ohne Sinn und Verstand, was wir euch in diesem Test näher erläutern wollen.
Der endlose Kampf
Abermals schlüpft ihr in die Rolle des etwas ungewöhnlichen Soldaten William B.J. Blazkowicz, der von seinen Kämpfen im vorherigen Teil schwer gezeichnet ist. So müsst ihr eure ersten „Regime“-Gegner in einem Rollstuhl überwältigen, was dem Helden natürlich bravourös gelingt. Der Begriff „Regime“ taucht im gesamten Spiel übrigens durchweg als Synonym für jegliche Nazi-Bezeichnungen auf. Noch immer sind Videospiele in Deutschland nicht als Kunst anerkannt und dürfen daher – im Gegensatz zu Filmen – auch in reflektierter Art und Weise nicht auf nationalsozialistische Symbolik zurückgreifen. Dies ist insofern absurd, da sich das Spiel klar gegen die entsprechende Ideologie stellt, gleichzeitig aber auch deren Ursprung aufzeigt und so zur Vorsicht mahnt, denn letztlich sind nur wenige Regime-Anhänger wirklich entmenschlichte Irre.
Euer Erzfeind, eine deutsche Generalin, kann beispielsweise als eine dieser Verrückten und Blutlüsternen beschrieben werden. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt „Terror-Billy“, wie euch die Propaganda-Medien nennen, mit einem großen Medienspektakel zu töten. Wenn man den zahlreichen Gesprächen der virtuellen Soldaten und Zivilisten im Spiel zuhört, dann kann man aber auch weitere Gründe erkennen, wieso sich die Menschen dem Regime fügen. Anhänger des Ku-Klux-Klan können als Idioten entlarvt werden, die es einfach nicht besser wissen, andere folgen aus Angst oder wurden durch die geschickte Propaganda manipuliert und wiederum andere sind einfach nur Opportunisten, die den Machtwechsel als eigene Aufstiegschance betrachten. Damit wird dem Spieler mithilfe zahlreicher Hyperbeln vor Augen geführt, dass zumindest ähnliche Szenarien auch in der heutigen Zeit nicht komplett abwegig sind.
Einer der Opportunisten ist der Vater des Protagonisten, dem in der Reihe erstmals größere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Generell steht die Familie von Blazkowicz im Mittelpunkt der Erzählung, das Vorantreiben der revolutionären Bewegung scheint eher in den Hintergrund zu rücken. Neben den absichtlichen brutalen und humoristischen Übertreibungen des Spiels, die in mindestens zwei Szenen wieder absolut auf die Spitze getrieben werden, wird es dadurch hin und wieder ungewohnt emotional und tiefgründig. Aufgrund des nahenden Nachwuchses seid ihr umso mehr bestärkt, das besetzte Amerika zu befreien und so der nächsten Generation ein besseres Leben zu ermöglichen. Dabei hilft euch zu Beginn eine Art Rüstung, die euren Tod jedoch nur hinauszuzögern scheint. Im Spielverlauf könnt ihr zunächst zwischen einer von drei außergewöhnlichen Modifikationen wählen, die es euch ermöglichen zuvor unerreichte Positionen zu erreichen.
So könnt ihr beispielsweise entweder besonders groß werden, um an höhergelegenen Stellen Schutz zu suchen, oder euch so klein machen, dass ihr problemlos durch kleine Rohre passt und Gegner von hinten überraschen könnt. Allzu relevant ist eure Wahl jedoch nicht, da ihr stets mit jeder Wahl vorwärtskommt und die Möglichkeiten immer nebeneinander und zu offensichtlich sind. Zudem könnt ihr euch die anderen Modifikationen gegen Ende des Spiels erspielen. Trotzdem werden euch somit mehrere – wenn auch begrenzte – Möglichkeiten gewährt, wie ihr euch durch die apokalyptische Welt bewegt. Diese kann atmosphärisch wieder als absolutes Highlight des Genres beschrieben werden. Die Entwickler haben an zahlreiche und oft auch humoristische Details gedacht, welche die germanisierte Welt als Dystopie veranschaulichen. Wer in diese richtig eintauchen will, der muss sich die Zeit nehmen, die Welt zum nach den zahlreichen Sammelgegenständen zu durchforsten. Die Tagebucheinträge, Briefe, Zeitungsartikel und viele weitere Schriftstücke schaffen eine spannende und erdrückende Atmosphäre, welche die Dystopie zum Leben erwachen lässt.
Umsichtigkeit wird belohnt
Das Erforschen der Welt und sammeln der Sammelstücke stellt vermutlich den größten Charme von „Wolfenstein II: The New Colossus“ dar. Wer einfach nur einen Shooter spielen will, der in Sachen Gewaltdarstellung kaum zu übertrumpfen ist, und auf einem niedrigen Schwierigkeitsgrad durch die Level stürmt, der wird das Spiel vermutlich problemlos in unter fünf Stunden abschließen können und nur mäßigen Spaß haben. wenn man sich auf einem hohen Schwierigkeitsgrad an der fast immer gegebenen Möglichkeit des Schleichens probiert, dadurch den Gesprächen der Soldaten lauscht und den Nervenkitzel des raffinierten, lautlosen Ausschaltens verspürt, wird man dem wahren spielerischen Potential des Titels gerecht. Hierzu trägt auch die eingeschränkte Gesundheitsregeneration bei, die in heutigen Shootern eigentlich nicht mehr anzutreffen ist. Stattdessen müssen ab einer gewissen Basisgesundheit, die normal nicht zum Überleben ausreicht, Medikits eingesammelt werden.
Doch auch mit einem brachialen Spielstil kann man sich nicht über den Umfang beklagen. Zwar können abgeschlossenen Kapitel leider nicht nochmal ausgewählt werden, abseits der Hauptstory warten in jedem Bereich aber noch besondere Kommandanten darauf, von euch beseitigt zu werden. Dafür werden die Bezirke teilweise sogar leicht umgestaltet und damit interessanter gemacht. In Kombination mit den bis dahin neu gewonnenen Fertigkeiten ergibt sich ein hoher Wiederspielwert für fast alle Gebiete des Spiels. Diese Nebenmissionen helfen dabei neue Fähigkeiten freizuschalten oder die Waffen zu verbessern. Hierfür müssen entweder teils schwer zu findende Teile eingesammelt oder unterschiedliche Aktionen durchgeführt werden, die wohl kein Spieler zum Abschluss des Spiels alle geschafft haben kann. Abseits der Eliminierung dieser Kommandanten mangelt es dem Spiel jedoch an abwechslungsreichen Nebenmissionen, die leicht hätten integriert werden können. Wenn noch mal die gesamte Story genossen werden soll, ermöglicht die Wahl eines Freundes zu Beginn des Spiels eine zwar nicht gravierende aber doch durchgängige Veränderung der Story.
Im Kern nach wie vor ein Shooter
Trotz der Schleichmöglichkeiten bleibt „Wolfenstein II: The New Colossus“ natürlich ein Shooter mit viel Action, an der es dank abwechslungsreicher Schauplätze und erzwungenen Kämpfen gegen endlose und durch die hochentwickelte Maschinentechnik erweiterten Gegner auch nicht mangelt. Wir wollen hier nicht spoilern, es sei jedoch verraten, dass ihr beispielsweise neben der prestigeträchtigen und im Spiel zerbombten Stadt „Neu York“ nicht nur Bauernhöfe und normale Militäranlagen besucht, sondern die Erde auch verlasst. Untermalt wird dies mit stimmigen, wenn auch manchmal etwas zu langen Zwischensequenzen mit sehr guter Synchronisation, die nur leider manchmal so gar nicht zu der Mundbewegung passt.
Aus der Musikanlage hämmert in Actionszenen gnadenloser Metal und in Schleicheinlagen reagiert sie dynamisch auf die Geschehnisse, um euer Herzklopfen passend zu verstärken. Auch grafisch zeigt das Spiel immer wieder was es kann. Einzelne Passagen sehen dank der Kombination aus Rauch und Licht absolut genial aus. Viel wichtiger ist jedoch, dass wir während des gesamten Spieldurchlaufs keinen einzigen Einbruch der Bildrate feststellen konnten, was in einem so schnellen Shooter besonders entscheidend ist. Einzig die Zwischensequenzen sind der Konkurrenz grafisch teils deutlich unterlegen und zeugen von einem begrenzten Budget.