Mit CrisTales entführen Publisher Modus Games und das junge Indiestudio SYCK Games in die teils in Jugendstil, teils in Art-Deco anmutende wunderschön gezeichnete Welt von Crystallis. Dabei dreht sich alles um die Titelgebenden ‚Kristalle‘ (auf kolumbianisch – wie das Entwicklerstudio – Cristales) und die zentrale Heldin des Spiels: Zeitmagierin Crisbell.
Zeitreisen! Oder doch nicht?
Die Kristalle bezeichnen dabei sowohl die buchstäblich mit Kraft ausgestatteten Kristalle, die thematisch sehr an z.B. frühe Final-Fantasy-Teile erinnern, als auch den ‚Zeitkristall‘, ein philosophisches Konzept der Zeitwahrnehmung, in dem Gegenwart jeweils von Zukunft und Vergangenheit getrennt wird. Die Grenzen selbst nennt man den Zeitkristall. Die Umsetzung dieser Idee zeigt sich in der Aufteilung des Bildschirms in drei Segmente, wobei die Vergangenheit und die Zukunft links respektive rechts mit einer schrägen Linie abgeschnitten gezeigt werden.
Diese Ansicht zieht sich durch sämtliche der liebevoll ausgearbeiteten Städte, die die Gruppe um Crisbell herum im Laufe ihres Abenteuers bereist, was uns auch direkt zum ersten Kritikpunkt führt: die genannte Optik der Bilderbuchstädte wird ständig durch die Zeitkristalle durchbrochen, die sowohl den immergleichen Zustand ‚im Aufbau‘ in der Vergangenheit als auch einen verrotteten Zustand in der Zukunft darstellen.
Klar, das trägt alles dazu bei, dass man sich ständig bewusst über die Dreifaltigkeit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist, einen Bruch im sonst eigentlich beeindruckenden Visuellen gibt es dadurch dennoch. Auch ist der Einfluss auf die Zukunft sehr begrenzt: durch Entscheidungen oder den Froschbegleiter Mattias können Items aus anderen Zeiten geholt und die Zukunft einer Stadt, sowie einzelner Figuren beeinflusst werden. Leider zeigen sich Truhen durch die ständige Anzeige aller drei Zeiten sofort beim Vorbeigehen und der Einfluss auf die Zukunft hält sich auch in Grenzen einiger weniger Entscheidungen. Könnte man die anderen beiden Zeiten bei Bedarf ein- und ausschalten, wäre damit nicht nur die Optik gerettet und die Zeiträtsel zumindest ein wenig anspruchsvoll geworden, sondern auch die Leistung des Spiels, das auf einer PS4 Pro sowohl in der Overworld, als auch in Städten sehr unterschiedlich flüssig läuft und leider vor allem mit langen Ladezeiten glänzen muss. Auf PS5 geht das natürlich etwas flotter vonstatten.
Visuell überzeugend
Trotzdem haben uns die sehr schön ausgestalteten Figuren überzeugt, die sich allesamt in einem comicartigen Look sehr gut in die beeindruckend hübschen Städte einfügen. Viele der zentraleren Akteure sind professionell voll vertont (nur auf Englisch, was uns aber grundsätzlich nicht stört, es sei nur angemerkt) und die Stimmen passen sehr gut zu ihren Charakteren. Das hilft auch, die zunächst recht generisch anmutende Story zu tragen: als Waise muss sich Crisbell mit ihren neuen Freunden und Fähigkeiten gegen die böse Time Empress durchsetzen und dabei die vier großen Städte in Crystallis bereisen, um ihre Zeitmagie zu stärken. Im Übrigen ist es schön, einen sehr diversen und auf beiden Seiten stark weiblich repräsentierten Cast aus Figuren zu sehen. Hinzu kommt ein sehr aufwändig produzierter und schöner Soundtrack und der schon genannte Artstyle, der CrisTales wirklich zu einem Game macht, das sich zumindest rein künstlerisch sehr genießen lässt.
Hommage an Retro-RPGs, vielleicht ein wenig zu sehr?
Leider fallen die zuvor genannten Ladezeiten besonders ins Gewicht, weil sie auch bei den direkt der Zeit von Chrono Trigger und FF4 entsprungenen Zufallsbegegnungen in den nicht-friedlichen Gebieten zum Einsatz kommen. Dabei leidet der Spielfluss enorm (besonders in Kombination mit der ohnehin schon hohen Frequenz der Begegnungen selbst). Das Erkunden nicht-friedlicher Gebiete läuft dabei anders als das Bereisen der Städte in einer 2,5D Perspektive mit Side-scrolling-charakter statt. Die Welten sind zwar hübsch ausgestaltet, bis auf Verbrauchsitems in Truhen aber im Gegensatz zu den Städten relativ leer. Auch in dieser Hinsicht lässt sich der Bezug auf genannte RPGs also schon spüren, was sich aber nicht nur positiv niederschlägt.
Wie in vielen älteren Vertretern des Genres tauchen die immergleichen Gegnertypen mit unterschiedlichen Elementen und Designs auf, was sich leider etwas aus der Zeit gefallen anfühlt. Kleine Quality-of-life Elemente, wie nach den Kämpfen automatisch regenerierendes Mana oder Leben hinterlassen einen fahlen Beigeschmack. Und während Games wie z.B. die Persona-Reihe im Rahmen der Tagesplanungs-Mechanik aktiv damit spielen, bei jeder Erkundung eines Dungeons nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung zu haben (und damit rechtfertigen, diese Elemente vermeintlich veraltet umzusetzen), fehlt dieses zielgerichtete Design bei CrisTales einfach. Welchen Sinn hat es, sogar Speicherpunkte nur begrenzt zur Regeneration nutzen zu können, wenn es keine Belohnung für das Haushalten mit den eigenen Items gibt, außer sich ein paar Minuten Grinding zu ersparen? Natürlich, es gibt auch viele, die diese Art von Herausforderung schätzen und keine zusätzliche Belohnung vom Spiel benötigen, um darin ein sinnvolles Design zu sehen. Für diese Zielgruppe hätte es dann aber unserer Meinung nach am Meisten Sinn ergeben, verschiedene Schwierigkeitsgrade anzubieten, beispielsweise einem mit begrenzten Ressourcen und Regenarationsmöglichkeiten und einem mit Autoheal nach jedem Kampf/jedem Gebiet. Trotzdem, die Ansätze, die CrisTales mit diesen Designentscheidungen gehen will, sind sichtbar und auch schätzenswert, hängen aber vielleicht einige ab.
Viele Ideen, wenig Polishing
Andererseits sind die rundenbasierten Kämpfe selbst in jedem Fall genreuntypisch, wobei jeweils nur ein erster Gedanke und kein ausformuliertes Konzept umgesetzt worden zu sein scheint. Ein Beispiel: wie bei den RPGs der Super-Mario-Reihe oder beim kürzlich erschienenen Bug Fable müsst Ihr bei einem Angriff einen Knopf drücken, um mehr Schaden anzurichten, bzw. um Schaden zu verhindern bei einer Parade.
Während sich diese Titel aber unterschiedlichen und teils komplexen Tastenkombinationen bedienen, ist es bei CrisTales immer nur der „x-Knopf“. Genauso verhält es sich mit der Aufteilung des Kampfgeschehens: Crisbell und Kohorten stehen in der Mitte des Felds, während ihre Gegner die Gruppe links und rechts umstellt. Dabei kann Crisbell die Gegner rechts in die Zukunft und die Gegner links in die Vergangenheit schicken, um Combos mit beispielsweise Gift-Angriffen ihrer Freunde mehr Schaden anzurichten oder ihre Feinde jünger und dementsprechend schwächer werden zu lassen.
Soweit wohl der stärkste Punkt des Kampfsystems von CrisTales, leider macht auch dieser den Eindruck, nicht wirklich zu Ende gedacht worden zu sein: man kann die Zeit-Seiten nicht tauschen und das Umzingeln der Gruppe hat keinen Einfluss. Die Idee der Zeitreisen ist ja eigentlich spannend und bietet sicher viel Potenzial für spannendes Game-Design, aber CrisTales hört leider nach einem sehr kreativen Schritt in eine erfrischende Richtung auf, diesen fertig zu denken. Andere Vertreter des Genres setzen einzelne Aspekte des Kampfsystems einfach besser um und entwickeln nichtsdestotrotz innovative Herangehensweisen. Klar, CrisTales bietet dadurch sozusagen das ganze Paket, aber wir finden, Qualität steht über Quantität.