Das 20. Jahrhundert. Eine harte Zeit für Menschen in London: Die Menschen sind noch von den Ereignissen des ersten Weltkriegs traumatisiert, da werden sie auch schon von der verheerenden spanischen Grippe heimgesucht. Doch es scheint eine noch größere Bedrohung zu geben: Vampire! Entwickler DontNod (Life is Strange) wagt sich mit “Vampyr” auf einen völlig neuen Schauplatz und greift mit diesem eine interessante Dark-Fantasy Thematik auf, die es so schon länger nicht mehr gab.
London is calling, Dr.Acula
Mit ihnen macht auch unser Protagnist Dr. Jonathan Reid recht schnell Bekanntschaft, denn er erwacht in einem Massengrab, völlig verändert und dürstend nach Blut. Leider ist die erste Person, die ihm begegnet, ausgerechnet seine Schwester, die er in seinem Rausch jedoch leider viel zu spät erkennt. Allerdings bleibt kaum Zeit zur Trauer, denn schnell setzen unheimliche Monster und bewaffnete Vampirjäger alles daran, uns endgültig ins Reich der Toten zu schicken. Zum Glück finden wir in einem Krankenhaus Unterschlupf, ein Ort zum Kräfte sammeln, um herauszufinden, wie es nur so weit mit uns kommen konnte, aber auch, um verschiedene Geschichten zu enthüllen, die sich um uns herum abspielen.
Doch wir sind nicht nur Vampir, wir sind auch nach wie vor Arzt, mit dem Ziel, den Menschen zu helfen. Und genau dort liegt der Zwiespalt für Dr. Reid. „Vampyr“ setzt auf einen Mix aus Action- und Rollenspiel, der durch die Interaktion mit verschiedenen Personen geprägt ist. Wir sprechen mit Patienten, Händlern oder Bewohnern von London, während wir uns durch die Semi-offene Spielwelt bewegen. Dabei sammeln wir Informationen über die Beziehungen untereinander, aber auch über merkwürdige Ereignisse, die sich in den Straßen zugetragen haben. Natürlich tun wie das nicht rein aus purer Nettigkeit, denn mit jedem neuen Hinweis verbessern wir den sogenannten „Blutwert“ der Personen. Dieser hat Einfluss auf die zu erhaltenden XP, sollten wir uns dazu entscheiden, ihnen das Blut auszusaugen. Allerdings hat dies auch schwere Folgen für die einzelnen Stadtbezirke, denen die Personen zugeordnet sind. In diesen verschlechtert sich die Gesamtsituation von „Gesund“ bis hin zu „feindlich“, was direkte Auswirkung auf die Umwelt besitzt, und uns das Leben schwer macht. Darüber hinaus können Personen, die unseren Opfern mache stehen, Angst bekommen und verschwinden, wodurch Hinweise, Missionen etc. verloren gehen. Man muss sich also selbst fragen, ob einem die Nachteile es wirklich wert sind. Darüber hinaus ist auch ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl für zwischenmenschliche Interaktionen gefragt, denn wählen wir in Gesprächen die falschen Optionen, gehen uns ebenfalls Hinweise verloren.
Auf der anderen Seite können wir die Bezirke auch verbessern, indem wir Medizin verteilen, um die verschiedenen Leiden zu heilen. Bei der Wahl des richtigen Heilmittels, welche wir auch selbst herstellen müssen, sind uns unsere Vampirkräfte, mit denen wir unsere Umgebung nach Personen durchleuchten können, und dabei Informationen über Namen, Gesundheit oder die Stärken und Schwächen von Feinden erkennen können, äußerst hilfreich. Diese Sicht ist ein tolles Feature, nicht nur, um auf Feinde vorbereitet zu sein, sondern auch um verborgene Spuren oder geheime Ereignisse ausfindig zu machen.
Erschöpfung an der Waffe
Natürlich können wir unser Ziel nicht nur mit Worten erreichen. Daher greifen wir in Kämpfen auf verschiedene Waffen wie Klingen, Skalpelle, Holzpflöcke oder auch Sensen und Schusswaffen zurück, um sowohl wütende Skals als auch ausgebildeten Vampirjägern den garaus zu machen. Diese lassen sich in unseren Unterschlüpfen verbessern, um es mit immer stärkeren Feinden aufzunehmen. Selbstverständlich können wir auch hier verschiedene Kräfte nutzen, um zum Beispiel mit Krallen anzugreifen, uns selbst zu schützen oder das Blut der Feinde zum Kochen zu bringen. Hier bieten sich auch wieder verschieden Fertigkeiten an, die in bester Rollenspiel-Manier aufgelevelt werden, so wie man es kennt.
Die Umsetzung ist dabei sehr simpel und fügt sich gut ins gesamte Spiel ein. Problematisch ist eher das Kampfsystem, das stark durch die eigene Ausdauer beeinflusst wird. Jeder Schlag unserer Waffe, jede Ausweichrolle und jede Sprintflucht verbraucht Ausdauer. Dadurch passiert es schnell, dass wir gerade auf einen Feind einprügeln, und plötzlich aufhören, weil Dr. Reid außer Atem ist. Dadurch geht leider viel Geschwindigkeit und Dynamik im Kampf verloren, die dem Titel wirklich gut gestanden hätte. Gerade zum Beginn kommt es hier zu einigen unschönen Situation. Haben wir unserem Feind genug seiner Ausdauer durch Schläge mit entsprechenden Waffen abgezogen, können wir ihn beißen und sein Blut aussagen. Dieses Blut brauchen wir nämlich für die bereits genannten Spezialangriffe, füllen aber auch Leben und Ausdauer schnell damit auf.
Insgesamt macht die Story von „Vampyr“ einen sehr soliden Eindruck. Der Mix aus der Interaktion mit den einzelnen Charakteren und dem Kampf gegen verschiedene Feinde fühlen sich wirklich gut an und machen Lust auf mehr, auch wenn es für den einen oder anderen etwas viel Gerede sein könnte. Das ist allerdings Geschmackssache. Auch die Rollenspielelemente haben ihren Reiz und schaffen es mit der Story und dem ansprechenden Setting, für eine interessante Handlung zu sorgen. Leider sorgt die Art des Kampf-Gameplays für eine fehlende Dynamik, wie man sie aus anderen Spielen her kennt. Man muss sehr bedacht mit seiner Ausdauer und seiner Waffe umgehen, was je nachdem für viele Neustarts und viel Frust sorgen kann.
Düsteres London, Framerateprobleme, Widersprüche
London im 20.Jahrhundert war düster. Und genau das wird auch gut in „Vampyr“ rüber gebracht. Nicht nur durch eine wirklich gut in Szene gesetzte Stadt, sondern auch durch die Geschichten der einzelnen Figuren. Wir haben zum Beispiel zwei schwule Soldaten, die gemeinsam im Krieg waren und davor Angst haben, ihre Liebe öffentlich zu machen, aber auch skrupellose Krankenschwestern, die sich bestechen lassen, oder Ärzte, die bis zur Erschöpfung alles geben. Die einzelnen Geschichten fangen die damalige Situation hervorragend ein und vermitteln gut ein Gefühl der Verzweiflung, die sich damals überall auf Grund der Kriegsereignissen und der spanischen Grippe breit gemacht hat. Gemixt mit den unheimlichen Ereignissen, die sich mehr im Untergrund abspielen, und von denen viele nicht einmal etwas mitbekommen, entsteht ein erstklassiges und atmosphärisches Setting, das mit dem gut abgemischten Soundtrack für eine ansprechende Stimmung sorgt, auch wenn die Straßen hin und wieder etwas eintönig wirken können und man sich so schnell verlaufen kann. Darüber hinaus kommt gerade in Zwischensequenzen, in denen Dr. Reid mit seinem Schicksal als Vampir hadert und gegen seinen Blutdurst ankämpft, die Frage auf, warum er zwar in Kämpfen alles beißt und tötet, was ihm vor die Nase läuft, dann aber plötzlich so große Probleme damit hat. Das sorgt für viel Irritation und hätte durchaus vermieden werden können.
Grafisch ist „Vampyr“ ganz ok, allerdings kein herausragender Titel. Hier merkt man doch sehr deutlich, wo die Qualitätsansprüche eines bestimmten Publishers stehen und welche Budgets dafür zur Verfügung standen. Die Charaktermodelle haben so ihre Schwächen, gerade in der Darstellung der Mimik, die doch recht einfach oder steif gehalten sind. Das größte Problem des Titels sind aber die immer wieder auftretenden Framerateeinbrüche und die ziemlich langen Ladezeiten, die sich auch viel zu oft die Ehre geben. Dadurch läuft der Titel große Gefahr, schnell an Interesse zu verlieren.