Was war das für eine coole Zeit, als man sich einfach sein Bike geschnappt hat, um teils tagelang auf den Trails zu verbringen – einfach mal dem Alltag entfliehen. Ob Fully, Dirt oder BMX, alles davon bot sich an, um die Lines, Hügel und Downhills möglichst stylisch runter zu brettern. Inzwischen hat sich die Crew leider in alle Himmelsrichtungen verstreut und was bleibt, sind Erinnerungen an fantastische Zeiten. Umso mehr freut man sich jetzt auf den Extreme-Sport-Titel Descenders von Entwickler RageSquid und No More Robots, die die bislang realistischste Simulation in diesem Bereich auf PS4 abliefern. Da kam beim Spielen schon ein bisschen Wehmut auf.
Die Line auf und ab, immer wieder
Mein persönlicher Favorit war immer das Dirt-Bike, um über klassische Trails zu jagen. Es hat schon echt Style von der Startrampe zu rollen, eine smoothe Table Line vor den Augen zu haben und sich auf dieses Kribbeln im Bauch zu freuen, wenn man den perfekten Flow erwischt. Immer und immer wieder. Besonders vor dem Hintergrund, dass man den halben Trail zuvor aufwendig selbst zusammen geschaufelt hat und es nie abwarten konnte, endlich den ersten Jump darauf zu absolvieren.
Descenders bringt dieses Gefühl nun auf die PS4, wenngleich einige fragwürdige Design-Entscheidungen bei der Entwicklung getroffen wurden. Dennoch merkt man dem Titel an, dass man sich bei RageSquid entweder mit der Materie wirklich auseinandergesetzt hat, oder den Sport selbst aktiv betreibt.
Das Descenders-Paket lässt kaum Wünsche offen: es gibt eine Art Karriere, einen Free-Ride Modus, einen Multiplayer, Sponsoren-Events, tägliche Herausforderungen und sogar kreative Sandbox-Levels. Alles, was das Rider-Herz begehrt. Also ein erstes Bike und das passende Outfit gewählt und ab auf die Piste. Wer sich erst einmal warm fahren möchte, der kann sich in einem Camp austoben – hier ein paar Wheelies, Bunny Hops oder Fakies, um ein Gefühl für sein Bike zu bekommen. Auch Whips, Flips oder 360s lassen sich hier schon wunderbar üben.
Ist man mit dem Grundlegendem vertraut, steht die erste Session auf den Hügeln an, eine klassische Abfahrt mit verschiedenen Jumps, Tables, Doubles, Tricksprüngen usw. Wie man den Weg nach unten findet ist einem selbst überlassen, notfalls auch mit dauerangezogener Bremse. Die Levels werden dabei per Zufall generiert, sodass man mit jeder neuen Session eine komplett neue Abfahrt präsentiert bekommt. Diesen Ansatz fand ich allerdings kontraproduktiv, denn eigentlich ist es so, dass man seine Line in- und auswendig kennt und diese nach und nach zu meistern lernt. So wird man mit jedem neuen Anlauf überrascht und kann sich nicht wirklich auf die Line einstimmen. Wie man die verschiedenen Events absolviert ist einem komplett selbst überlassen. Wenn man möchte, dann kann man die komplette Karte abarbeiten, bis man irgendwann die Endgegner-Strecke wählt, um dort einen besonders anspruchsvollen Jump, Trick oder ähnliches zu absolvieren. Schafft man diesen mit Bravour, wird das nächste Gebiet freigeschaltet.
Warum man nun allerdings 3 Mal die Endgegner-Herausforderung absolvieren muss, um das nächste Gebiet dauerhaft freizuschalten und direkt dort starten zu können, erschließt sich mir nicht so ganz. Dies hält den Karrierefortschritt unnötig zurück und frustriert auf Dauer auch, da man ein und dieselbe Karte zunächst immer und immer wieder abklappern muss. Langfristig wird so zwar alles freigeschaltet, bis dahin heißt es aber fahren, fahren, fahren. In Kombination mit dem prozedural generierten Levels ein wirklich ungünstiger Ansatz, den ich lieber im Freeride oder als Option gesehen hätte.
Auch fand ich schade, dass ausschließlich MTBs und Fullys im Spiel zur Verfügung stehen, obwohl man klassische BMX-Trails oder DiRT-Lines bietet. Dafür fehlt wieder der legendäre Pump Track, der sich hervorragend eignet, nur um immer mal wieder lockere Runden zu drehen und Soft-Tricks zu üben. Immerhin findet man Anleihen daraus auf den herkömmlichen Strecken in Form von Bodenwellen, über die man mit einem Wheelie gekonnt surfen darf. Vielleicht ja als DLCs?
Fly High …
Nichtsdestotrotz, spielerisch macht Descenders einfach nur Spaß und ist extrem motivierend. Zunächst braucht es etwas Zeit, um sich mit dem Handling der Bikes vertraut zu machen und die verschiedenen Tricksprünge einzustudieren, irgendwann hat man aber das richtige Feeling dafür und kann “entspannt” die Piste runter heizen. Kleiner Tipp: Ein Pro Controller scheint bei Descenders eine gute Option zu sein, um insbesondere die Empfindlichkeit der Sticks zu beherrschen. Mit den inzwischen leicht überdrehten Sticks meines DualShock 4 nach mehreren Jahren wird aus einem Backflip auch mal schnell und unbeabsichtigt ein Tweaked 360 mit Totalcrash am Ende.
Hier ist es wie in der Realität: man muss genau wissen, was man vorher machen möchte und es dann einfach tun. Sich kurzfristig etwas anderes überlegen, wenn man schon in der Airtime ist, funktioniert nicht, auch nicht bei Descenders. Nach diesem Prinzip tastet man sich dann voran – aus einem simplen Whip wird irgendwann ein Tail-Whip, dann ein 360, dann noch als One-Hand oder No-Hand, One-Foot oder No-Foot, Backflip, Frontflip usw. Die Möglichkeiten sind dank der virtuellen Umsetzung quasi unbegrenzt, auch wenn es dann irgendwann schon in den Bereich des Unmöglichen geht, sprich die Endgegnersprünge im Kamikaze-Style. Es müssen aber auch nicht immer die Extremtricks sein, manchmal macht es auch einfach nur Laune die Line ganz smooth runter zu rollen oder die Landschaft zu genießen. Übrigens ist es auch keine Schande einen Trick auch mal auszulassen, um sich besser auf den nächsten konzentrieren zu können. Im echten Leben entscheidet sowas durchaus auch mal über Erfolg oder Crash.
Ein echtes Highlight in Descenders sind zudem die Abfahrten aus der Helmkamera, die man quasi in First-Person erlebt. So ein Trick aus der Third-Person Perspektive zu machen, ist fast schon Kinderkram dagegen. Einen Backflip oder 360 so zu erleben, als würde man selbst auf dem Bike sitzen, ist ein völlig anderes Level und erfordert vor allem viel Orientierungssinn, um am Ende auch wieder sicher landen zu können. Ein absolut cooles Feature!
Insgesamt fängt Descenders das Gefühl des Downhill-Sports ziemlich gut ein, auch wenn man hier und da noch ein wenig am Realismus oder der Physik schrauben sollte. Die typische Gratwanderung zwischen zugänglichem Arcade-Gameplay und realistischem Simulationscharakter eben. So einfach, wie im Spiel dargestellt, ist es nämlich nicht und erfordert jahrelange Übung und hier und da auch mal ziemlich viel Mut – Knochenbrüche und blaue Flecke inklusive.
Immer mit Style …
Wie erwähnt, scheint man sich bei RageSquid wirklich mit dem Sport auseinandergesetzt zu haben. Die Animationen der Tricks und Jumps sind absolut realitätsnahe nachempfunden und repräsentieren die Vorlagen fast bis ins Detail. Auch die verschiedenen Bikes und einzelnen Parts lassen sich großen Herstellern wie Fox, Rockshock, Spank und wie sie alle heißen gut zuordnen, auch wenn man größtenteils auf Lizenzen verzichtet. Aus der GoPro wird hier mal schnell die It Camera usw. Das lässt sich durchaus verkraften, obwohl Marken und Hersteller wie bei jedem Sport eine immense Rolle spielen.
Anpassen lassen sich die Bikes so oder so nur bedingt, wobei in diesem Punkt einige sehr fragwürdige Entscheidungen getroffen wurden. Ein Downhill-Profi, der mit einer LBGT-Flagge die Piste runter fährt, muss wohl erst noch geboren werden. Stützräder hätten das noch abgerundet. Hätte man auch einfach weglassen können! Immerhin hat man kräftig in Outfits und Sponsoren-Auftritten investiert, wobei Blindfold mein absolutes Highlight bis jetzt im ganzen Spiel ist.
Allgemein ist das grafische Level OK, mehr aber auch nicht. Da Descenders bereits eine Weile für den PC und die Xbox One erhältlich ist, darf man hier wohl von einer Portierung sprechen, die zugegeben noch etwas Feinschliff bräuchte, insbesondere was gelegentliche Tearing-Effekte betrifft.
Ansonsten kann man sich auf einen tollen und chilligen Soundtrack freuen, der genau das widerspiegelt, wofür dieser Sport steht, nebst authentischen Soundeffekten, besonders von der knarrenden Hinterradnabe. Was die meisten Leute auf der Straße ziemlich nervt, kann für einen echten Rider nicht laut genug sein. Gehört halt dazu und ist in diesem Fall eher Musik in den Ohren.