TEST: Road 96 – Ein emotionaler Trip für die Freiheit

By Mark Tomson 1 Comment
10 Min Read

Wenn einem die Chance geboten wird, das Schicksal und die Zukunft seines Landes auf bedeutende Weise zu verändern, obliegt es jedem einzelnen, diese Chance auch zu ergreifen. Eine solche Chance bietet einem das aktuell erschienene Road 96 von Entwickler Digixart, die auf eindrucksvolle Weise recht schwierige Themen zusammenbringen und euch damit auf einen Roadtrip schicken, der eines der spannendsten und sympathischsten Spiele des Jahres hervorbringt. Wir haben uns Road 96 angeschaut und verraten euch in unserem Review, ob sich der Kampf um ein ganzes Land lohnt.

Kein von A nach B

Road 96 ist sicherlich kein Spiel, das euch wie an einem roten Faden oder entlang an nur einer Straße zu einem Ziel führt. Der prozedurale Ansatz offenbart hier eine sich stetig weiterentwickelnde Geschichte, die aus vielen verschiedenen Richtungen startet, gelenkt und beeinflusst wird, begleitet von politischen Unruhen, familiären Konflikten, Liebesgeschichten und dem Wunsch nach Freiheit.

Road 96

Schauplatz ist der fiktive Staat Petria, der nicht nur autoritär geführt wird, sondern dadurch auch kurz vor dem Zusammenbruch steht. Insbesondere die Jugend von Petria ruft zu einem Umbruch auf, während das Regime um Präsident Tyrak alles dafür tut, um die Menschen zu beeinflussen, zu manipulieren und ihnen ein funktionierendes System vorzugaukeln. 

Es ist Sommer im Jahr 1996, der politische Wandel ist dank anstehender Wahlen greifbarer denn je, und ein paar eigensinnige Teenager verlassen ihr zumeist komfortables Zuhause, um sich auf den Weg zur Grenze an der namensgebenden Road 96 zu machen. Man selbst schlüpft in die Rolle dieser unterschiedlichen Teenager, die aus verschiedenen Motivationen heraus und aus allen Teilen des Landes aufbrechen. Es liegt an euch, ob sie die Grenze erreichen, diese sicher überqueren können oder auf dem Weg dorthin verhaftet werden oder gar sterben – alles ist möglich. Das klingt nach ziemlich schwerer Kost, gleichzeitig schafft es Road 96 damit aber auch, das Roadtrip-Feeling wie kein anderes Spiel zu vermitteln.

Road 96 test

Der Weg in die Freiheit

Alles fängt damit an, dass die freiheitsliebenden Teenager als vermisste Ausreißer dargestellt werden, deren Ergreifung mit einer Belohnung honoriert wird. Je nachdem, welchen Steckbrief man wählt, startet man in einem anderen Teil des Landes und macht sich zu unterschiedlichen Bedingungen auf den Weg nach Norden zur Road 96. Der Aufbau gleicht im Ansatz dem aus Life is Strange 2, mit dem Unterschied, dass es viel mehr Zwischenstationen und Schauplätze gibt und die gewählte Route viel zufälliger ausfällt, je nachdem, welchen Reiseweg man wählt. Man kann trampen, zu Fuß gehen, den Bus oder ein Taxi nehmen, so dass ihr mal schneller oder mal langsamer ans Ziel kommt, oder auch mittendrin aufgehalten wird. Denn eure Wahl kann durchaus Gefahren bergen, denn wer weiß schon, bei wem man ins Auto steigt oder wer euch in der einsamen Wildnis über den Weg läuft? Ein Bus scheint da komfortabel, kostet euch aber auch Geld, das euch am Ende vielleicht fehlt. Die Möglichkeiten werden mit jeder Wahl umfangreicher und erscheinen komplexer, je näher man der Grenze kommt und sich die Routen der Teenager kreuzen.

Nicht nur eure Reise

Hier trifft man auch auf unterschiedlichste Charaktere, in deren Geschichte man sich einklinkt und diese mitbestimmt. Zum Beispiel Papa Bear, ein hartgesottener und echter Trucker, der sein Leben auf der Straße verbringt und über Funk eine Liebesbeziehung zu Fanny (Mama Bear) hegt, die sich später als Polizistin herausstellt. Während Papa Bear sich hier und da auf die Seite der Teenager schlägt, setzt Fanny das Gesetz durch und verhaftet diese bei jeder Gelegenheit. Mehr als einmal trifft man auf das Genie Alex, der nach seinen leiblichen Eltern sucht und dabei auf die Brigaden trifft, eine politische Gruppierung, die den Umsturz des Landes anstrebt. Gleichzeitig ist Alex der Adoptivsohn von Fanny, was die komplexen Beziehungen unter den Charakteren in einem offensichtlichen Konflikt dastehen lässt. Und diese drei sind wirklich nur ein ganz kleiner Teil des Ganzen.

Road 96 review

Das Problem, das prozedural generierte Geschichten oftmals haben, ist, dass diese wenig Persönlichkeit erlauben, damit diese am Ende auch noch stimmig sind. Bei Road 96 ist dies nicht viel anders, denn nicht nur die Teenager werden hier lediglich als recht anonyme Silhouetten dargestellt, die man nie zu Gesicht bekommt, auch die Dialoge wirken hier und da mal aufgesetzt und mit der Tür ins Haus fallend. Wenn mich ein Cop auf der Straße anspricht, sollte die erste Frage wohl kaum nach der politischen Einstellung oder zu den Wahlkandidaten sein, um nur ein Beispiel zu nennen. Dennoch schafft es Road 96 durch die vielen Makro-Geschichten der Figuren, die man trifft, und deren Schicksale man mitbestimmt, in eine sympathische Erfahrung zu verwandeln, bei der man von Kapitel zu Kapitel unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht und von der man immer mehr sehen möchte.

Drastische Entscheidungen

Aufgelockert werden die unzähligen Dialoge durch clever ins Gameplay integrierte Mini- und Geschicklichkeitsspiele in Form von Battle Royale-Anekdoten, Detektivrätseln, Verfolgungsjagden oder klassischen Arcade-Games-Automaten, die überall an den Settings zu finden sind, ergänzt durch Survial- und Erkundungs-Elemente, die nie Langeweile aufkommen lassen. Einen großen Teil machen natürlich die Entscheidungen und Schlüsselmomente aus, die nicht nur euren eigenen Weg bestimmen, sondern auch den eurer Gefährten. Und diese kommen manchmal überraschender als einem lieb ist. So kann eine falsche Antwort gegenüber dem zornigen Jared zur unmittelbaren Ermordung eines der Teenager führen, was man absolut nicht kommen sieht. Dialoge müssen zudem immer aufmerksam verfolgt werden, um entscheidende Infos zu erhalten, die ein Scheitern verhindern können. Selten erlebt man solch drastische Momente, die einen vor so endgültige Entscheidungen stellen oder das Schicksal der Teenager derart überraschend und unerwartet beeinflussen. Digixart hat damit einen wirklich fantastischen Job gemacht, der einen sonst wirklich schwierigen Ansatz bei der Erzählung, den Entscheidungen und der Kunst, die Motivation aufrecht zu erhalten, so bravourös zusammenbringt.

Das Schicksal von Petria

Eure Entscheidungen im Spiel lenken letztendlich aber auch das Schicksal von Petria, dem ultimativen Ziel in Road 96. So hat man immer die Wahl, mit welcher der Gruppierungen man sympathisiert und welche politischen Ansichten man teilt und kann dementsprechend reagieren. Zerstört man die Wahlplakate des amtierenden Präsidenten Tyrak und beeinflusst damit die Meinung der Einwohner, oder unterstützt man die Propaganda des selbigen, in dem man die Brigaden für ein paar Dollar verpfeift und ausliefert? Alle Aktionen haben unmittelbaren Einfluss auf das Schicksal des Landes, können die Proteste verstärken oder eben eindämmen, was Road 96 zu einer wirklich persönlichen Erfahrung macht, deren Verlauf man aktiv und spürbar mitbestimmt. Einzig eine finale Entscheidung, egoistisch davon zu laufen oder sich der Rebellion anzuschließen, erschien mir dann doch zu simpel, wobei sich hier die Frage stellt, ob es überhaupt soweit kommt, wenn man nur die eine oder die anderen Seite über die maximal 10 Episoden unterstützt? Manch einer scheint auch schon nach sechs Episoden das Ende erreicht zu haben.

Grafisch bewegt sich Road 96 auf einem eher weniger “anspruchsvollen” Level, das man vielleicht noch etwas simpler als das original Life is Strange bezeichnen könnte. Das macht den visuellen Look aber nicht weniger attraktiv, der wunderbar in die Erzählung und das Setting passt. Road 96 zeichnet sich auch vielmehr durch die vielen unterschiedlichen Schauplätze aus, die vom klassischen Motel über Fast-Food Restaurants bis hin zu Festivalgeländen und Bars reichen, die sich über das ganze Land erstrecken und die allesamt kleine Geheimnisse, Rätsel und Erkundungsmöglichkeiten bieten. Hier hin möchte man am liebsten immer wieder zurückkehren.

Road 96 ps5

Vor allem aber auch durch den herrlichen Soundtrack, der eigens für Road 96 geschrieben wurde und der so einige Ohrwürmer beinhaltet. Insbesondere der chillige Track Home Call von The Toxic Avenger, der zum Auftakt eines jeden Trip durch die Anlage strömt, lässt die Volume-Taste automatisch auf laut stellen, entlang des typichen 90er Jahre Techno, Eurodance, etwas Rock usw.,  die die damalige Zeit geprägt haben. Aufmerksame Spieler können den Soundtrack sogar anhand der guten alten Kassette im Spiel zusammensammeln.

TEST: Road 96 – Ein emotionaler Trip für die Freiheit
“Road 96 ist kein simpler Roadtrip von A nach B, bei dem nur zwischen einigen Entscheidungen das eigene Schicksal oder das von Petria auf die leichte Schulter genommen wird. Es bringt das Genre des interaktiven Geschichtenerzählens auf die nächste Stufe und hebt sich damit von Vorreitern wie Life is Strange oder The Walking Dead durch seine Komplexität noch einmal erheblich ab. Man fühlt regelrecht, wie das Schicksal der Teenager, aber auch das eurer Gefährten, durch kleinste und oftmals unerwartete Momente gelenkt wird, auch wenn dies nicht immer gut ausgeht. Das gehört aber zur Geschichte und verspricht am Ende eine zutiefst emotionale und manchmal auch sehr erschütternde Erfahrung, von der man gerne noch mehr gesehen hätte. Road 96 ist damit einer der echten Geheimtipps in diesem Jahr, den man keinesfalls am Straßenrand liegen lassen sollte.”  
Plus
Spannende und individuelle Story
Sympatische Charaktere
Komplexe Entscheidungen und Auswirkungen
Herrlich passender Soundtrack
90er Jahre Atmosphäre
Minus
Kleinere Übersetzungsfehler
Teils unpassende Antwort-Frage-Optionen
Schnelles Abarbeiten von Charakteren
9
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DARTH_WERDER
2 Jahre zuvor

Danke für den tollen Test. Ich als alter Adventurespieler werde es natürlich noch spielen 🙂

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