Herzlichen Glückwunsch, liebe Gamer: Wir haben es geschafft. Das Preisschild mit der dreistelligen Zahl ist endlich da, eingerahmt von Konfetti aus Mikrotransaktionen und Season Passes. „GTA 6“, das Spiel, das seit Jahren in aller Munde ist und vermutlich in jedem zweiten Pitchdeck der Spielebranche als Maßstab für „Marktpotenzial“ auftaucht, soll Gerüchten zufolge satte 100 US-Dollar bzw. Euro kosten. Und nein, das ist keine Collector’s Edition mit goldener Disc, Thermotasse und Duftkerze – das ist der neue Standardpreis. Willkommen im Zeitalter des 100-Dollar-Spiels.
GTA 6 ist nur der Anfang
Der Dominoeffekt wurde längst gestartet – und zwar von einem gewissen Klempner im roten Overall. „Mario Kart World“ hat den Mut gehabt, die Preislatte auf 80 Euro zu legen – 90 Euro, wenn man auch wirklich etwas in der Hand halten möchte. Damit war der Damm gebrochen. Die Branche hat nur auf einen gewartet, wer den Schritt zuerst wagt. Wenn Nintendo, der familienfreundlichste unter den Giganten, diesen Weg geht, kann man sicher sein: Die anderen werden folgen.
Bereits mit der Einführung von PS5 und Xbox Series X im Jahr 2020 kletterten die Standardpreise für Triple-A-Spiele von 60 auf 80 Euro. Es war ein schleichender Prozess: Erst ein „Demon’s Souls“ hier, ein „Spider-Man Remastered“ da. „Ratchet & Clank“, „Horizon“, und natürlich „Call of Duty“ – sie alle halfen mit, uns schrittweise an den Gedanken zu gewöhnen, dass hochwertiges Spielen eben mehr kostet. Und jetzt kommt Phase zwei: die dreistellige Zukunft.
„GTA 6“ soll nicht nur das größte Spiel aller Zeiten werden, sondern auch das teuerste – für uns. Analysten vermuten, dass Publisher dieses Spiel als Benchmark nutzen wollen: Wenn Rockstar Games 100 Dollar nehmen kann, dann kann das jeder. EA. Ubisoft. Activision. Vielleicht sogar CD Projekt, wenn sie irgendwann Cyberpunk 2088 fertig bekommen.
Boykott? Haha, guter Witz.
Natürlich wird sich das Internet aufregen. Es wird Threads auf Reddit geben, Hashtags auf Twitter (X), hitzige Diskussionen in Foren und triefende YouTube-Kommentare. Und dann wird „Mario Kart World“ eine Million Einheiten verkaufen – in der ersten Woche. Und die Publisher werden sich sagen: alles richtig gemacht. Das nächste Pokémon wird trotz mittelmäßiger Technik wieder sämtliche Charts dominieren. Und „GTA 6“?
Glaubt wirklich jemand, dass irgendwer nicht 100 Dollar für ein Spiel zahlt, das seit zehn Jahren in der Entwicklung ist, ein ganzes Internet lahmlegt und wahrscheinlich mit einem einzigen Trailer mehr Buzz generiert als manche Publisher in einem ganzen Jahrzehnt?
Die Rechnung zahlen am Ende nur wir
Was macht diesen Preisanstieg so bitter? Ganz einfach: Wir wissen, dass das Geld nicht dort landet, wo es gebraucht wird. Die Entwicklerstudios kämpfen mit Crunch, Burnout und Entlassungen, während die Führungsetagen mit Boni überschüttet werden, weil sie „Visionen umgesetzt“ haben. Spoiler: Die Vision war Geld.
Die Argumente, dass Spieleproduktion immer teurer wird, sind nicht falsch. Aber wenn ein Unternehmen wie Rockstar Games mit „GTA 5“ das umsatzstärkste Entertainmentprodukt aller Zeiten erschaffen hat, dann glaubt wohl niemand ernsthaft, dass sie mit einem 70-Dollar-Spiel plötzlich in die roten Zahlen rutschen würden.
Willkommen im Premium-Zirkus
Die Zukunft des Spielens ist teuer, digital, und sie kommt mit Deluxe-Upgrades, die vor dem Release schon mehr Inhalt versprechen als das Basisspiel. Wir stehen an der Schwelle zur 100-Dollar-Normalität – mit einem lachenden Publisher, einem weinenden Konto und der Gewissheit, dass wir am Releasetag trotzdem vor dem Bildschirm sitzen.
Denn wir zahlen. Wir regen uns auf. Und wir zahlen trotzdem. Die Industrie weiß das. Und jetzt weiß sie auch, dass wir 100 Euro zahlen.
Ob „GTA 6“ dann wenigstens pünktlich erscheint?