Es hat viele Jahre gedauert, bevor sich Entwickler DICE und Electronic Arts dazu entschließen konnten, die Vision einer Fortsetzung zu „Mirror´s Edge“ wahr werden zu lassen. Und obwohl das damalige Debüt mit viel Kritik umgehen musste, war es durchaus ein Erfolg und löste einen wahren Kult um die Heldin Faith und das Franchise aus.
Acht Jahre sind seitdem vergangenen, sowie wurden teils radikale Änderungen am Spiel vorgenommen. Aus einer linearen Erfahrung wurde ein Open-World Konzept, die Ereignisse aus dem Original haben noch gar nicht stattgefunden und die Heldin Faith findet gerade erst den Weg zu ihrer Bestimmung. Warum „Mirror´s Edge Catalyst“ erneut ein Spiel ist, das fast für sich alleine steht, erfahrt ihr in unserem Testbericht.
Die vollständige Überwachung droht
„Mirror´s Egde“ war bereits damals ein Spiel, das sich eigentlich mit nichts anderem vergleichen ließ. Das First-Person Jump ’n‘ Run-Genre wurde als Innovation in der Spielewelt gefeiert, der minimalistische Stil in Kunstkreise erhoben und der stimmige Soundtrack hundertfach neu aufgelegt. In „Mirror´s Egde Catalyst“ ist nun alles noch viel größer, offener und weitläufiger als zuvor, was die Grundidee des Parcours-Sports dahinter nun für absolut jeden wahr werden lässt, zumindest virtuell. Schauplatz ist Cascadia, eine hypermoderne Stadt zum Großteil aus Glas errichtet, die von einflussreichen Unternehmen wie Kruger Security oder Anansi kontrolliert werden und die sich in einem mächtigen Konglomerat verbündet haben, um die vollständige Kontrolle über deren Einwohner zu bekommen, was bis hin zu deren Gedanken reicht. Es ist die Idee eines vollständigen Überwachungsstaates, den das Konglomerat anstrebt und denen sich unsere Heldin Faith gemeinsam mit den sogenannten Runnern entgegenstellt.
DICE hat mit dem Reboot die Chance genutzt, um vor allem die Vergangenheit von Faith aufzuarbeiten, ihr eine echte Persönlichkeit zu verleihen und sie für die Fans deutlich greifbarer zu machen. Woher kommt Faith oder was treibt sie an sind nur einige Punkte, die nun ein solides Fundament für das Franchise bilden. Die Story an sich wurde dieser modernen Zukunft geradezu auf den Leib geschneidert und erscheint in heutigen Zeiten auch gar nicht mehr so abwegig, wenn auch es weiterhin eine beängstigende Vorstellung ist, dass es so etwas wie Privatsphäre nicht mehr geben könnte oder gar der eigene Willen beinflussbar wird. Die Mantelstory von „Mirror´s Egde Catalyst“ gefällt, wirkt dabei nicht zu abgehoben oder unrealistisch erzählt, bietet aber auch dramatische und unvorhersehbare Wendungen. Nicht ganz unwichtig ist dabei auch, dass sie eine durchschnittliche Länge heutiger Spiele verspricht und nicht wie im Original in nur wenigen Stunden gemeistert werden kann. Letztendlich lässt man aber auch Spielraum für eine weitere Erzählung.
Eine komplette Stadt als Spielplatz
Der wohl interessante Aspekt und neue Ansatz in „Mirror´s Edge Catalyst“ ist das Open-World Konzept. Bereits im Original war die Faszination, überall entlang klettern zu können, „verbotene Orte“ zu durchstreifen, Baustellen unsicher zu machen und durch Lüftungsschächte zu kriechen deutlich interessanter als die eigentliche Story. Wie viele Stunden hat man damit verbracht immer kürzere Wege zu finden, spektakuläre Routen zu meistern und auch die noch so entlegensten Winkel zu erkunden? Für meinen Teil waren es auf jeden Fall sehr viele. Cascadia bietet hier noch weitaus mehr Möglichkeiten – ein überaus komplexes Leveldesign, das sich von der Straße, über Dächer, durch gigantische Datenzentren und Kanalisationen erstreckt, lassen unendliche Möglichkeiten erahnen. Ich konnte es kaum abwarten die Story hinter mir lassen, um anschließend wirklich tun und lassen zu können, was ich möchte. Das ist die Besonderheit, in der sich „Mirror´s Egde Catalyst“ von allen anderem abhebt, wo es nicht im Vordergrund steht irgendwelche Aufgaben erfüllen zu müssen oder Belohnungen hinterher zu jagen, sondern einfach nur die gesamte Welt zu erkunden und vieles auszuprobieren. Klingt simpel, wird aber auch nach Stunden keineswegs langweilig. Nett fand ich zudem, dass man einige Abschnitte durchläuft, die ganz offenbar dem Original entnommen wurden oder sehr an das Portal-Franchise erinnern, was in erster Linie dem einzigartigen Stil zu verdanken ist.
Minimalistische Schönheit
Denn optisch setzt „Mirror´s Egde Catalyst“ wieder auf den minimalistischen Ansatz, der prägend für das gesamte Franchise steht. Vorherrschend hat man es mit wenigen Grundfarben zu tun – weiß, blau, grün, gelb, aber nie zu viele auf einem Bildschirm. Man könnte meinen, dass „Mirror´s Egde“ bereits vor Jahren den Grundstein für aktuelle Trends gelegt hat, den man derzeit vor allem in der Web-Entwicklung sieht. Das sieht nicht nur schick aus, sondern passt auch perfekt in die Vision dieses Zukunfts-Settings. Insbesondere aber in längeren Runs beeindruckt dieses Farbenspiel – gerade noch flitzen wir durch ein in blau gehülltes Gebäude, da wird eine Ecke weiter alles in rot getaucht und mit einem 180°-Turn wieder in Gelb. Markant für diese gläserne Stadt sind aber auch die Reflexionen der Hauswände und Dächer, die beindruckenden Beleuchtungseffekte und transparenten Texturen, die ein stimmiges und faszinierendes Gesamtbild ergeben.
Die große Sorge war allerdings die, und vor allem nach den Eindrücken in der BETA, dass DICE nicht das grafische Level halten kann, welches die seit Monaten veröffentlichten Screenshots anpreisen. Dieser Punkt ist tatsächlich unterschiedlich zu bewerten und schwankt sehr deutlich. Allgemein sieht „Mirror´s Edge Catalyst“ viel besser aus als die BETA-Version und überzeugt zum Großteil durch gestochen scharfe Texturen und einem zeitgemäßen Look. Umso verwunderter blickt man auf teils schwache Texturen und unsaubere Panoramalandschaften. Auch einzelne Nebencharaktere werden teils zu stark mit einem Weichzeichner abgetupft und wirken somit schwammig, was das Spiel selbst, wie auch Zwischensequenzen betrifft. Ein wenig schade, aber durchaus auch zu verschmerzen. Ein kleiner Teil dürfte der niedrigeren Auflösung bei 900p geschuldet sein, die dafür aber eine exzellente Performance bei 60 Bildern pro Sekunde versprechen und somit ein unglaubliches Spielgefühl verleihen.
Flüssig wie Wasser
Bei der Entwicklung von „Mirror´s Egde Catalyst‘ stand von Anfang an das Movement-System im Mittelpunkt, das bereits im Original ständig für Adrenalinschübe sorgte, aber auch so seine Problemchen hatte. Dies wurde nun nochmals verfeinert, Faith hat deutlich mehr Moves drauf, kann auf Gadgets zurückgreifen und flitzt wie erwähnt mit flüssigen 60 Bildern pro Sekunden über die Dächer der Stadt. Dieser Unterschied ist nicht nur zum Original sofort spürbar, auch im Vergleich zu anderen Spielen ist dies ein absolut einzigartiges und fantastisches Gefühl, wenn man es schafft sich im Flow und am Momentum zu bewegen. Akrobatische Moves wie Wall Run, 180 Turn, Absprung und Landung mit Abrollen gehen nun präzise von der Hand und auch Gegner lassen sich so direkt aus den Moves heraus erledigen. Ganz im Stil von Spiderman kann man sich nun mithilfe eines Seils von Dach zu Dach schwingen, wobei dessen Einsatz Gott sei Dank aufs Nötigste begrenzt wurde, um die ursprüngliche Runner Idee damit nicht zu untergraben.
Das Kampfsystem war ja eines der größten Kritikpunkte, ganz ohne geht es jedoch auch nicht und wäre dann wohl auch zu langweilig geworden. Die Waffen hat man für Faith diesmal komplett verworfen und dafür taktische Komponenten hinzugefügt, die sich mittels Skill-Tree nach und nach erlernen lassen. Dies umfasst Sidekicks gegen Gegner, Kicks aus dem Sliden heraus, Angriffe von hinten und vieles mehr, die stetig kombiniert werden müssen, um nicht sofort vom Gegner geblockt zu werden. Anfänglich ist dies recht kompliziert und man fühlt sich unterlegen, sogar Frust war häufig dabei. Es ist ganz klar auch weiterhin nicht das Gelbe vom Ei und bremst irgendwie noch zu sehr aus, mit gesteigerten Fähigkeiten kompensiert sich das aber ein wenig, wenn man einmal den bescheuerten finalen Fight gegen gleich zwei Sentinel außer Acht lässt.
Am Rande bietet Cascadia zudem noch Unmengen an Nebenaufgaben, Runs, Liefermissionen, Sammelobjekte oder man misst sich ganz einfach mit der Community, erstellt eigene Runs oder versucht deren Rekorde zu brechen. Vieles bleibt aber optional zu betrachten und bringt euch nur etwas, um eure Skills weiter auszubauen. Dies ist eher was für Spieler, die an die Hand genommen werden möchte und trotzdem die Mirror´s Edge Welt kennenlernen möchten.
Der Mirror´s Egde Sound
So unverwechselbar, wie der Look des Spiels ist, so prägnant ist auch der typische Mirror´s Egde Sound, der erneut von Solar Fields stammt und die Stadt in eine angenehme Trance-Atmosphäre taucht. Noch immer peitschen die Sounds zusammen mit eurem Adrenalin in den Fluchtpassagen hoch oder verleihen dem Untergrund der Stadt diesen geheimnisvollen Charakter. Hier passt wirklich alles zusammen und runden das Bild dieser modernen und sterilen Stadt aus Glas fast perfekt ab, wären da nicht die gelegentlichen Tonaussetzer. Auch aus Sicht der Synchronisation lässt sich an der deutschen Fassung nichts bemängeln und kann somit in vollen Zügen genossen werden.
Entwickler: DICE
Publisher: Electronic Arts
Release: erhältlich
Offizielle Homepage: www.mirrorsedge.com