TEST: Blue Prince – Warum ich dieses Spiel abwechselnd vergöttere und verfluche

Ein mysteriöses Herrenhaus, ein zermürbender Zufall, geniale Rätsel – Blue Prince beweist im Test, dies ist kein Spiel, es ist ein Denk-Labyrinth mit Gedächtnis-Falle.

Lukas Neumann
Junior Editor bei PlayFront.de – frisch in der Branche, aber mit scharfem Blick und spitzer Feder. Zockt, schreibt, seziert – immer auf der Jagd nach der...
6 Min. Lesen

Ich hasse Blue Prince. Ich liebe Blue Prince. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es durchgespielt habe oder ob es mich gespielt hat. Was ich weiß: Ich habe Stunden lang wie ein Wahnsinniger Karten im Kopf gezeichnet, mir Farbcodes gemerkt, Edelstein-Kombis notiert, und irgendwann mitten in der Nacht ein seufzendes „Aaaah, du cleveres Miststück!“ ausgestoßen. Kein Spiel hat mir dieses Jahr mehr Gehirnschmalz abgesaugt. Warum Blue Prince ein unerwarteter Indie-Hit in diesem Jahr ist, verrate ich in diesem Review.

Der Einstieg: Wie ein Traum, der mit Mathe droht

Blue Prince gibt sich zu Beginn so harmlos wie ein Spaziergang durch ein verlassenes Schloss. 5×9 Felder. Du startest immer wieder in der Eingangshalle. 50 Schritte. Türen in alle Himmelsrichtungen. Räume, die zufällig aus deinem eigenen Kartenpool generiert werden. Das klingt wie ein Escape-Room-Roguelike mit Brettspiel-Flair, aber was sich entfaltet, ist ein atmosphärisches Kopfkino mit Tücken. Du ziehst nicht einfach durch einen Grundriss – du entwirfst ihn, baust Fallen für dich selbst, erkennst sie zu spät, fluchst, lernst, wiederholst.

Und genau da liegt der Reiz. Oder der Wahnsinn. Oft beides.

Alles Zufall, oder was?

Blue Prince lebt vom Kompromiss zwischen Planung und Chaos. Du kannst deine Raumkarten strategisch bauen, draften, vorbereiten – und dann steht da plötzlich ein Schlüsselraum, den du nicht brauchst, ein Tresor ohne Code, oder eine Tür mit einer Farbe, die du bisher ignoriert hast. Deine brillanten Vorbereitungen? Für die Katz. Das Spiel vertraut dir, dass du mit der Zeit lernst, wie der Baukasten funktioniert. Es gibt dir keine Questmarker, kein Menü mit „aktive Ziele“, keine Tipps. Wenn du ein Puzzle löst, dann weil du es dir erarbeitet hast – nicht weil dir ein Pop-up gesagt hat: „Du brauchst 3 rote Juwelen.“

Die Mechanik von Blue Prince ist fast schon frech minimalistisch – bis du verstehst, dass sich dahinter ein komplexes Zahnradsystem versteckt. Jeder Raum kann alles sein: ein Hinweisgeber, eine Sackgasse, ein Ressourcenlager oder ein Schalter in einem anderen Teil des Hauses. Alles ist miteinander verbunden, aber auf eine verschlüsselte Weise, die sich nur durch Langzeitbeobachtung entschlüsseln lässt.

Ich wollte irgendwann auf einen realen Notizblock ausweichen, weil die interne Kartierungsfunktion einfach nicht mithalten konnte. Nicht, weil sie schlecht ist, sondern weil meine Notizen irgendwann wie ein Verschwörungsnetz aus der letzten „True Detective“-Staffel aussahen.

Roguelike trifft Detektivarbeit

Was Blue Prince dabei so besonders macht, ist, wie es Roguelike-Strukturen mit investigativem Gameplay verbindet. Man stirbt nicht, man startet neu – und nimmt Wissen mit. Das erinnert an klassische Immersive Sims oder Return of the Obra Dinn. Nur dass du hier keine Geister entlarvst, sondern Mechanismen. Du bist das Debugging-Tool dieses Spiels. Mit jedem Lauf nimmst du ein bisschen mehr Verständnis mit, bis du irgendwann Räume nicht mehr betrittst, sondern siehst, wie sie funktionieren.

Das ist hypnotisierend. Und manchmal auch höllisch frustrierend. Denn ja – du kannst dich verbauen. Nicht metaphorisch. Ganz real. Du kannst durch eine falsche Drafting-Entscheidung ganze Räume unzugänglich machen. Und das ist kein Fehler. Das ist Absicht.

Frustration ist Feature

Es wird Momente geben, in denen du das Spiel hasst. Nicht, weil es unfair ist – sondern weil du dachtest, du wärst schlauer als es. Spoiler: Bist du nicht. Blue Prince ist kein Spiel, das dich „besiegen“ will. Es will, dass du dich selber überlistest. Und wenn du es schaffst, belohnt es dich nicht mit einer Cutscene, sondern mit einem stillen „Aha“ – irgendwo zwischen zwei Räumen, wenn du kapierst, dass ein früheres Detail plötzlich Sinn ergibt.

Das kann berauschend sein. Und toxisch. Ich habe einen Run komplett in den Sand gesetzt, weil ich versehentlich ein Tool aktiviert hatte, das bestimmte Raumtypen seltener macht. Zwei Stunden später suchte ich einen dieser Räume. Ich hätte schreien können. Stattdessen startete ich neu. Und war dankbar.

Grafik nur Dekoration? Mitnichten.

Der Cel-Shading-Stil von Blue Prince wirkt auf den ersten Blick wie ein hübscher Bonus – stylisch, aber zweitrangig. Tatsächlich trägt er massiv zur Atmosphäre bei. Die klaren Linien und satten Farben helfen beim Wiedererkennen von Räumen und symbolisieren die klare Sprache des Spiels – auch wenn es sich in Andeutungen und Vexierbildern verliert.

Es sieht aus wie ein interaktiver Mystery-Comic, der von einer Design-Fakultät auf Drogen entworfen wurde, nur damit man sich so genauso fühlt. Und das ist durchaus positiv gemeint. Wirklich: Und das Spielgefühl ist, als würde man auf einer endlosen Welle reiten. Einfach herrlich!

Blue Prince erscheint praktischerweise als Teil von PlayStation Plus Extra und Premium. Das letzte Argument, um sich selbst in diesen Wahnsinn zu stürzen.

Fazit

blue prince review
TEST: Blue Prince – Warum ich dieses Spiel abwechselnd vergöttere und verfluche
Kein Spiel für alle – aber vielleicht das Spiel für dich
"Blue Prince ist ein Spiel, das du nicht einfach „durchspielst“. Es ist ein Prozess. Ein Forschungsprojekt. Ein verdammter Escape Room im Kopf. Es ist ein Spiel, das sich deinem Tempo entzieht und dein Gehirn langsam marinieren lässt. Wer auf Fortschrittsbalken, Trophäen und Checklisten steht, wird nach zwei Stunden genervt das Pad weglegen. Aber wenn du Puzzles liebst, die sich über Tage entfalten. Wenn du Spiele magst, die dir nichts schenken, sondern alles abverlangen. Dann wirst du hier Wochen verbringen, freiwillig, begeistert, leicht irre. Ich liebe es. Ich hasse es. Und ich fang gleich nochmal von vorn an."
Plus
Faszinierend verschachtelte Rätsel mit echter Denkarbeit
Einzigartige Mischung aus Roguelike und Puzzle
Stilvolle Cel-Shading-Optik mit Atmosphäre
Minus
Frustpotential durch zufällige Raumverteilung
Kaum Spielerführung – völlige Orientierungslosigkeit möglich
Notizen fast Pflicht – keine Komfortfunktionen
8.6
Diesen Artikel teilen

(*) PlayFront.de verwendet Affiliate-Links von bekannten Shops und Plattformen. Wenn ihr über diese Links einkauft, bekommen wir eine kleine Provision. Für euch kostet das keinen Cent mehr, aber ihr tut uns trotzdem einen Gefallen – Win-win, oder? Danke dafür!

Abonnieren
Benachrichtigen Sie mich bei
Checkbox
0 Comments
Neuestes
Älteste Meistgewählt
Inline-Rückmeldungen
Alle Kommentare anzeigen
gameconfect ad
0
Dein Kommentar dazu interessiert uns!x
de_DEGerman