Der polnische Entwickler The Farm 51 und Bandai Namco versuchen nun im zweiten Anlauf ihren Genre-Mix „Get Even“ auf den Markt zu bringen, nachdem der ursprüngliche Release aufgrund der Terroranschläge in England ausgesetzt wurde. Zu sehr ähnelten sich gewisse Szenen mit den Ereignissen von Manchester, was möglich als unpassend gewertet werden könnte. Gleichzeitig ist so ein Vorfall ja auch recht willkommene PR, um diesen doch recht außergewöhnlichen Titel hervorzuheben. Ob es dieser aber auch aus eigener Kraft schafft, haben wir uns in einem Vorab-Review mal genauer angeschaut.
Nichts für Casual-Spieler
Den Anspruch, den The Farm 51 an die Spieler von „Get Even“ legt, dürfte eher im gehobenen Bereich einzuordnen sein. Man muss den Titel und seine Story wirklich aufmerksam verfolgen und viel Engagement zeigen, um ihn am Ende auch wirklich zu verstehen. Doch worum geht es? In der Rolle des sogenannten ‚Black‘, eine Art Special-Agent, der an der Entwicklung einer ganz besonderen Waffe, die um Ecken herum schießen kann, beteiligt war, durchlebt man surreale Träume als Teil einer Therapie, die von der mysteriösen Gestalt ‚Red‘ geleitet wird, den man selbst aber nur durch eine verzerrte Stimme wahrnimmt. Schauplatz ist eine heruntergekommene Nervenheilanstalt, in der recht schnell klar wird, dass das, was gerade vor euch passiert, Teil eurer eigenen Erinnerungen ist, die von ‚Red‘ aus immer tieferen Regionen eures Gehirns ausgegraben werden.
Nichts scheint zusammenzupassen, man wird ständig an andere Schauplätze geleitet, die man durch Fallakten auf einer Pinwand betritt – mal ist es ein ungeklärter Mord eines Junkies, mal ist es Industriespionage, mal sind es Familiendramen, die sich vor einem abspielen. Das Besondere an „Get Even“ ist dabei, dass die Story so bis zuletzt spannend gehalten wird, da sie auch erst dann Sinn ergibt. Weniger motivierte Spieler, laufen dabei jedoch auch Gefahr, schnell wieder von dem Spiel abzulassen. Es ist daher ratsam, die Fälle nach und nach abzuschließen und nicht wild durcheinander, um nicht völlig den Faden zu verlieren. Die einzelnen Fälle können dabei beliebig oft wiederholt werden, solange bis man wirklich alle Hinweise, wie Zeitungsartikel, Notizen, Fotos etc. gefunden hat, welche das Gesamtbild der Story formen. Man sollte sich zudem die Zeit nehmen, die teils doch längeren Textpassagen auch wirklich zu lesen.
Der Genre-Mix
An diesem Punkt kommt auch der Genre-Mix zum Tragen. Anfänglich ging ich eigentlich davon aus, dass „Get Even“ ein Shooter sein wird, aber weit gefehlt. Zwar sind diverse Schießeisen eure primären Waffen, letztendlich wird man aber stetig dazu angehalten, diese möglichst nicht einzusetzen, sondern sich mehr aufs schleichen und erkunden zu konzentrieren, in detektivischer Weise Hinweise zu sammeln und zu kombinieren, sowie den teils verrückten Erinnerungen zu entkommen, die selbst das eigene Privatleben nicht außen vorlassen. Das funktioniert jedoch nicht immer und man ist schneller als man mag in Gefechte verwickelt. Auch Entscheidungen spielen eine gewisse Rolle, jedoch mit offensichtlich weniger Konsequenzen, wie es gewollt war oder man es aus „Heavy Rain“ her kennt, mit dem man „Get Even“ wohl am ehesten vergleichen würde.
Zur Hilfe steht euch dabei außerdem eine besondere Kamera, die euch dank diverser Filter auf Hinweise aufmerksam macht, dabei anfängt zu vibrieren, eigentlich nicht vorhandene Objekte sichtbar macht oder Wärmequellen aufspüren kann. Gleichzeitig dient sie als Visier seitlich an der Waffe, für den Fall, dass man doch mal schießen muss. Das jedoch mehr schlecht als recht, denn irgendwie wirkt es seltsam, dass man abseits von dem hinschauen muss, wo man eigentlich hin schießen möchte. Das kann teils zu einer echten Geduldsprobe werden, denn sehr viel Rücksicht nehmen die Gegner nicht auf euch. Den einzigen Vorteil, den das Ganze bietet, hat man nur dann, wenn man um die Ecken herum schießen möchte.
Abschließend kommt man nicht drum herum, dass man sich mit „Get Even“ auch am Horrorgenre bedient hat – eine verlassene und heruntergekommene Anstalt, verrückte Insassen, die auf einen zustürmen, wirre Vision vor den eigenen Augen – die klassischen Zutaten eben. Es ist von allem etwas, sodass es schwierig ist, „Get Even“ einem bestimmten Genre zuzuordnen, was es letztendlich aber auch wieder interessant macht.
Grandiose Soundkulisse
Für den Soundtrack von „Get Even“ konnte man den Komponisten Olivier Drivière verpflichten, der passend zu dieser etwas psychologischen Thematik die passende Soundkulisse beisteuert. Von Symphonie-orchestralen Klängen, über zermürbendes Hämmern und Klopfen, bis hin zu nervösem Rauschen und Summen in den Gängen der Anstalt holt man hier wirklich alles heraus, um die einzelnen Sets atmosphärisch zu unterstreichen. Tempo und Rhythmus passen sich dabei dem jeweiligem Spielgeschehen an, sodass auch aus dieser Sicht stets Spannung geboten ist. Und wie immer, sollte man auch „Get Even“ möglichst mit einem Heimkino oder entsprechenden Kopfhörer spielen, um so möglichst tief in das Spiel eintauchen zu können.
Aus optischer Sicht liefert „Get Even“ hingegen nur ein gutes Mittelmaß ab, insbesondere entgegen der ursprünglichen Ankündigung, bei der man von neuesten 3D-Scan Technologien sprach. Besonders die Charaktermodelle lassen davon nicht sehr viel erahnen. Die Sets sind allerdings passend gewählt, mit viel Liebe zum Detail ausgeschmückt und sorgen auch für die richtige und düstere Atmosphäre. Mit den ganz großen Blockbustern wird „Get Even“ dennoch nicht mithalten können, was angesichts des doch recht günstigen Preises von knapp 30 EUR aber durchaus vertretbar ist.