Ein Geisterschiff auf hoher See, fünf Teenager und eine urbane Legende. Die perfekten Zutaten, um daraus eine Horrorstory zu machen. Diese Grundlage haben sich die Macher des Horrorhits “Until Dawn” bei Supermassive Games für den Start ihrer “The Dark Pictures Anthology” ausgesucht und mit “Man of Medan” nun das erste Kapitel niedergeschrieben. Schon unsere beiden Previews zum Spiel ließen erahnen, dass man damit mit einen würdigen Nachfolger von “Until Dawn” auf Kurs bringen wird, in dem Horrorfans wieder voll auf ihre Kosten kommen. Doch kann auch das fertige Ergebnis der hohen Kunst des echten Horrors gerecht werden? Wie sind für euch in See gestochen, um genau das herauszufinden.
Wer überlebt, wer stirbt?
Die Story von “Man of Medan” bedient sich einer urbanen Legende, die gleichzeitig auch den namensgebenden Titel erklärt. Diese geht auf das Jahr 1948 zurück, wo sich ein bis heute nicht ganz aufgeklärtes Schiffsunglück der SS Ourang Medan zutrug. Es wird als eines der beunruhigendsten Dramen in der Schifffahrt bezeichnet und versetzte die Mannschaft damals und alle die danach davon erfuhren in pure Angst und Schrecken.
Dabei beginnt alles mit einem ja fast schon idyllischem Bootsausflug, bei dem die Teenager Conrad (Shawn Ashmore), Brad (Chris Sandiford), Alex (Kareem Tristan Alleyne) und Julia (Arielle Palik) sich auf die Suche nach einem alten Wrack aus dem Zweiten Weltkrieg machen und mit ein wenig Glück vielleicht sogar einen Schatz bergen. Wären da nicht ein paar moderne Piraten, die euch die soeben erbeutete Schatzkarte wieder abnehmen und selbst Kurs auf die darauf eingezeichnete Position nehmen, nicht wissend, dass der wahre Alptraum hier erst beginnt.
Ziel dieses gruseligen Ausflugs ist es, irgendwie wieder von dem rostigen Dampfer, der mehr Geisterschiff als alles andere ist, zu entkommen und nebenher das Rätsel hinter dem Unglück aufzuklären, das euch überall zu verfolgen scheint. Wie, wer und ob ihr überhaupt entkommen werdet, ist mit jedem neuen Anlauf völlig offen.
Der Butterfly-Effekt
“The Dark Pictures: Man of Medan” setzt dazu wieder auf das Entscheidungs- und Konsequenzen-System, das man auch schon aus “Until Dawn” her kennt. Immer wieder muss man sich auf seinem Weg für irgendwelche Antworten entscheiden, kann verschiedene Wege einschlagen oder muss einfach nur geschickt mit dem Gamepad sein. Alles wirkt sich kurz oder langfristig auf den weiteren Verlauf auf, wobei die Konsequenzen nur selten wirklich vorhersehbar sind. Manchmal kommen sie umgehend, etwa wenn man sich entscheidet zu springen und man dann doch tiefer fällt, als geplant, manchmal schlägt das Schicksal erst einige Kapitel später zu – und das in absolut unvorhersehbaren Momenten. Nehmen wir zum Beispiel als Kapitän Fliss (Ayisha Issa) ein Messer auf dem Weg mit, können wir uns damit womöglich später aus einer brenzligen Situation retten. Andererseits können uns die Umstände auf dem Schiff auf paranoid werden lassen und wir richten das Messer gegen einen Freund. Was ist richtig, was ist falsch? Gibt es die eine richtige Antwort oder Entscheidung überhaupt? Denn diese müssen oftmals binnen Sekunden getroffen werden und können alles dramatisch verändern. Mit diesem Konzept hält man die Erzählung nicht nur permanent hoch und spannend, sondern bringt diese gegenüber “Until Dawn” damals sogar auf die nächste Stufe.
Die unberechenbare Komponente
“The Dark Pictures: Man of Medan” lässt sich diesmal nämlich auch im Social-Multiplayer mit Freunden spielen, wodurch die anderen Spieler jeweils einen oder mehr Charaktere besetzen, was deren Entscheidungen zugleich unvorhersehbar werden lässt. Man erlebt so auch weniger eine gemeinsame Story, vielmehr ist es seine persönliche Geschichte, in der einzelne Szenen auch nicht mehr unbedingt aneinandergereiht sind, sondern sich überlagern können und parallel verlaufen. Jeder bekommt nur seine Szene zu sehen und weiß nicht, was der andere gerade macht. Ein ziemlich komplexes System, das die Story jedes mal aufs neue schreibt und erleben lässt. Denn wer weiß schon, wie sich der andere Spieler hier und da entscheiden oder reagieren wird? Genau das macht die Story immer wieder von Beginn an spannend, egal wie oft man sie schon wiederholt hat.
Was an dieser Stelle jedoch auch ein wenig quer schießt, ist der teils unnatürliche Redefluss in Unterhaltungen, basierend auf euren Antworten. Wenn man schon die Wahl hat, sollten sekundäre Themen auch eliminiert werden können und nicht wie aus dem Nichts die Frage nach dem Goldschatz aufkommen, wenn der andere sich gerade Gedanken ums Überleben macht. Das wirkt zuweilen doch ein wenig unpassend und zeigt, dass das komplexe Entscheidungssystem auch mal ordentlichen in sich kollidieren kann. Je nach Entscheidungsverlauf kommt es so nämlich auch mal zu völlig unlogischen Situationen, die absolut nichts ins Bild passen.
Zuhause im Horror Genre
Dass sich Supermassive Games seit Jahren dem Horror Genre verschrieben hat, kommt auch in “The Dark Pictures: Man of Medan” deutlich zum Tragen. Wie uns der Entwickler gegenüber einmal sagte, wollte man mit diesem ersten Kapitel diesen “Horror auf hoher See” vermitteln, was ihnen mit “Men of Medan” wieder grandios gelungen ist. Während die Erzählung recht linear und wie in einem Film vor euch abläuft, setzt man geschickt die klassischen Stilmittel des Horrors ein, um euch das Fürchten zu lehren. Es sind mehr die unbekannte Dinge, die einem hier Angst machen, gepaart mit den legendären Jump Scares, die für zusätzliche Schockeffekte sorgen.
So ein altes Geisterschiff mit seinen engen und klaustrophobischen Gängen an sich ist ja schon gruselig genug, wenn dann aber überall noch grauenhaft zugerichtete Leichen euren Weg pflastern und man ständig die Angst im Nacken spürt, wer oder was sich hinter der nächsten Ecke verbergen könnte, ist der Horrorabend wirklich perfekt. Dabei setzt man auf ein wirklich angenehmes Tempo, das nicht nur von einem Schockmoment zum nächsten lebt und den Herzschlag permanent in die Höhe treibt, sondern die Spannung stets langsam aufbaut und dann …. vielleicht auch mal gar nichts passiert. Es sind diese subtilen Angstgefühle, die einen hier begleiten und den Horror, der letztendlich ja erst in einem eurem Kopf entsteht, eure Nerven blank liegen lassen.
Dabei lässt es sich auch nicht von der Hand weisen, dass man sich für “Man of Medan” vieler klassischer Stilmittel und bekannten Vorlagen bedient, etwa dem Film “Ghost Ship”, wenn man einmal an das Kapitel mit dem eleganten Ballroom und dem Klavier denkt, plötzlich zuschlagende Türen, düstere Gestalten, die scheinbar in Ecken stehen oder gruseliger Gesang, der verzerrt durch Gänge hallt. Eine wirklich tolle Atmosphäre, die niemals kitschig wirkt oder übertrieben ausgereizt wird. Untermauert wird diese zusätzlich von der optischen und akustischen Präsentation, die sich im Vergleich zu “Until Dawn” damals deutlich weiterentwickelt hat. Alles wirkt nun viel authentischer, Gesichter und Animationen erreichen ein realistisches Animationsfilmniveau und wirken nicht mehr wie die einst steifen Puppen. Leider war dieses schaurige Vergnügen auf allen Ebenen schon nach rund vier Stunden wieder vorbei.
Kompensiert wird die doch recht übersichtliche Spielzeit durch den Social Multiplayer-Part oder dem “Filmabend”-Modus, den man lokal mit bis zu fünf Freunden erleben kann, und wo jeder abwechselnd seine Figuren spielt. Hier scheint die Spielzeit angemessen, der alleinige Playthrough war für mich persönlich jedoch viel zu schnell wieder vorbei. Zudem wird es noch einen Curator’s Cut geben, der nochmals alternative Perspektiven mit anderen Charakteren in zuvor erlebten Szenen aufzeigt, darunter auch exklusive Szenen, die nur in diesem Modus verfügbar sind. Zum Zeitpunkt des Test stand dieser jedoch noch nicht zur Verfügung.