TEST: Steel Seed – Vertraute Wege in rostigem Gewand

Steel Seed im Test: Ein cineastisches Sci-Fi-Adventure, das auf bekannte Vorbilder setzt, aber kaum eigene Ideen einbringt. Unser kritischer Review deckt Stärken und Schwächen auf.

Niklas Bender
Freelancer und Editor-in-Chief bei PlayFront.de seit 2022. Liebe die PS5, zocke quer durch alle Genres und eine Schwäche für humorvolle Texte – Sarkasmus inklusive.
6 Min. Lesen

Storm in a Teacup. Schon der Name des Studios lässt vermuten, dass hier große Ideen in kleinen Gefäßen untergebracht werden. Mit „Steel Seed“ bleibt man diesem Motto treu – und scheitert genau daran. Was auf den ersten Blick wie ein cineastisches Action-Adventure mit ernster Sci-Fi-Dramatik wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als handwerklich solides, aber vollkommen innovationsresistentes Spiel, das sich hinter bekannten Vorbildern versteckt, anstatt eigene Akzente zu setzen.

Willkommen im Maschinenkeller der Zukunft

Die Prämisse klingt spannend: Die Menschheit hat sich selbst ausradiert – mal wieder –, und wir erwachen in der Rolle von Zoe, einer zur Maschine gewordenen Frau, irgendwo tief unter der Erde. Begleitet von der niedlich-nervigen Drohne Koby (der „Comic Relief“, der nie wirklich witzig ist) machen wir uns auf die Suche nach Antworten – und stolpern dabei durch eine Welt, die visuell beeindruckend, aber erzählerisch vollkommen leblos bleibt.

Schon die erste Spielstunde zeigt: „Steel Seed“ ist inhaltlich ein Remix aus „Uncharted“ trifft auf „Horizon Zero Dawn“, nur ohne deren Charme, Tiefe oder Mut zur Lücke. Die Welt ist grau, metallisch, steril – und das nicht nur visuell. Auch emotional bleibt das Spiel durchgehend auf Tauchstation. Das „Warum“ der Geschichte ist nie so spannend wie das „Wie“ ihrer Inszenierung, was bei einem narrativ getriebenen Spiel ein echtes Problem ist.

Zoe erkundet die düsteren Tiefen einer posthumanen Maschinenwelt
Zoe erkundet die düsteren Tiefen einer posthumanen Maschinenwelt

Gameplay nach Schablone

Spielmechanisch reiht sich „Steel Seed“ in eine immer länger werdende Liste von Games ein, die den Baukasten moderner Third-Person-Abenteuer einfach übernehmen: Leicht zu erkennende Klettervorsprünge? Check. Schlauchlevel mit gelegentlichem Gabelweg? Natürlich. Kampf-Mechanik mit Light- und Heavy-Attacke? Selbstverständlich. All das funktioniert – aber es begeistert nicht.

Das Traversal, also das Klettern, Springen und Plattformen, ist klar von „Uncharted“ beeinflusst. Leider fehlt Nathan Drakes Leichtigkeit. Zoe bewegt sich zwar elegant, aber unpräzise. Ihre Sprünge fühlen sich an wie aus Gummi gegossen – ein Effekt, der weder zur metallenen Welt noch zur mechanischen Heldin passt. Immerhin sorgt die Integration von Koby als Puzzle-Element gelegentlich für nette Ideen – etwa, wenn es darum geht, Schalter in einer bestimmten Reihenfolge zu aktivieren oder Gegner abzulenken. Aber auch das nutzt sich ab.

Der Kampf ist vermutlich das größte Ärgernis: Oberflächlich tiefgründig – mit Ausweichfenstern, Kombos und Upgrades – aber letztlich nicht mehr als Buttonmashing mit Bonusfunktionen. Gegner agieren dumm, reagieren kaum auf die eigene Taktik, und selbst „stärkere“ Maschinengegner lassen sich durch wiederholtes Tippen der Angriffstaste aus dem Konzept bringen. Die Bosskämpfe? Vergessenswert. Spannung entsteht hier keine, höchstens Frust über unfaire Kamerawinkel oder die x-te Gegnerwelle ohne taktischen Anspruch.

Stealth light

„Steel Seed“ will gelegentlich ein Stealth-Game sein, erinnert dabei aber eher an eine abgespeckte Version von „Deus Ex: Human Revolution“ auf Valium. Zoe kann sich verstecken, lautlose Takedowns durchführen, Koby zur Ablenkung nutzen – aber all das fühlt sich nach Checkliste an, nicht nach Spielidee. Vor allem, weil man Stealth jederzeit durch stumpfen Kampf ersetzen kann. Das Spiel zieht keine klare Linie. Will es Schleichspiel oder Actionfest sein? Es versucht beides – und wird damit keinem gerecht.

Immerhin gibt es einen Lichtblick: Die Charakterentwicklung ist tatsächlich mal sinnvoll in das Spielgeschehen integriert. Fähigkeiten werden nicht einfach mit Punkten freigeschaltet, sondern durch kleine Herausforderungen, die bestimmte Skills voraussetzen. Das zwingt den Spieler dazu, neue Mechaniken aktiv zu nutzen – ein Konzept, das man sich von anderen Titeln öfter wünschen würde. Leider bleibt die Tiefe auch hier begrenzt. Die meisten Skills verbessern nur bestehende Funktionen minimal oder wirken redundant.

Steel Seed oder „Uncharted mit Roboterfilter“
Steel Seed oder „Uncharted mit Roboterfilter“

Visuell beeindruckend, emotional leer

Technisch gesehen macht „Steel Seed“ vieles richtig. Dank Unreal Engine 5 sehen die Umgebungen spektakulär aus und sorgen für stimmungsvolle Lichteffekte. Das Leveldesign ist trotz Schlauchstruktur abwechslungsreich genug, um nicht zu langweilen. Besonders die architektonische Gestaltung der unterirdischen Anlagen verdient Lob – hier wurde mit Liebe zum Detail gearbeitet.

Was dagegen völlig fehlt, ist die emotionale Anbindung an die Welt. Das liegt nicht nur am blassen Writing, sondern auch an der inszenatorischen Belanglosigkeit vieler Zwischensequenzen. Zoe wirkt nie wie ein echter Charakter mit Motivation, sondern wie eine Figur, die in ein fremdes Drehbuch gezwängt wurde. Die ständigen Monologe erinnern zwar entfernt an Aloy aus „Horizon„, sind aber längst nicht so gut geschrieben – eher ein Fall von „Tell, don’t show“. Die Nebenfiguren, allen voran Koby und der mysteriöse S4VI, bleiben Stichwortgeber ohne echte Tiefe.

Steel Seed ist wie ein Mixtape aus Klassikern – nur schlechter abgemischt

Das größte Problem von „Steel Seed“ ist nicht, dass es ein schlechtes Spiel wäre. Im Gegenteil: Es funktioniert. Es läuft stabil, ist technisch sauber und bietet genügend Abwechslung, um seine Spielzeit halbwegs zu rechtfertigen. Aber es ist eben auch ein Spiel, das sich nie traut, mehr zu sein als ein Schatten seiner Vorbilder.

Statt eine eigene Identität zu entwickeln, suhlt sich „Steel Seed“ in Versatzstücken. Die Sci-Fi-Welt ist hübsch, aber leer. Die Kämpfe sind da, aber seicht. Die Geschichte hat Potential, nutzt es aber nicht. Und die Figur, die eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte, bleibt blass wie ein schlecht animierter Hologramm-Geist aus der Mittelklasse-Produktion eines Streamingdienstes.

Fazit

WebP Alternative
TEST: Steel Seed – Vertraute Wege in rostigem Gewand
Stahl, aber kein Rückgrat
"Steel Seed ist ein Spiel, das viel versucht, aber wenig erreicht. Es ist kein Totalausfall – dafür ist das handwerkliche Fundament zu solide. Aber es ist eben auch nicht mehr als ein kompetent gemachtes, aber uninspiriertes Third-Person-Abenteuer, das vor allem Fans von bekannten Franchises für ein paar Stunden unterhalten kann. Wer etwas Neues, Herausforderndes oder Emotionales sucht, wird hier nicht fündig. Wer jedoch einfach nur durch eine hübsche Sci-Fi-Welt laufen, ein paar Roboter verprügeln und hin und wieder eine Plattform-Rätsel lösen möchte, bekommt genau das – nicht mehr, nicht weniger."
Plus
Atmosphärisches Leveldesign
Gute Stealth-Mechaniken
Visuelle Präsentation überzeugt
Minus
Flacher Kampf: Button-Mashing reicht oft
Erzählerische Einfallslosigkeit
Eintöniger Missionsfluss
6.5
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