Manchmal reicht ein altes Versprechen, um ein ganzes Abenteuer auszulösen. In Amerzone – The Explorer’s Legacy stehst du plötzlich vor dem sterbenden Abenteurer Alexandre Valembois, der dir eine letzte Mission aufdrückt: das legendäre Ei des Weißen Vogels zurückzubringen, das er einst in jugendlichem Leichtsinn entwendet hat. Viel mehr Informationen bekommst du allerdings nicht – ein paar kryptische Aufzeichnungen und ein schwacher Fingerzeig auf eine ferne Welt. Willkommen in Amerzone, einer Reise, die dich zugleich verzaubern und verwirren wird.
Die einsame Spur des Entdeckers
Amerzone – The Explorer’s Legacy erzählt seine Geschichte in typisch gemächlichem Tempo. Statt Explosionen und Effekthascherei steht hier die melancholische Reflexion eines einst stolzen Entdeckers im Vordergrund, dessen Abenteuer mehr Schaden angerichtet hat, als er je geahnt hätte. Die Idee dahinter ist stark: Eine Welt voller fremdartiger Kreaturen, verlorener Kulturen und vergessener Versprechen. Aber während Valembois‘ Schuld und Reue greifbar sind, bleibt dein eigener Charakter – ein namenloser Journalist – seltsam blass. Warum begibt sich dieser Mensch überhaupt auf eine derart gefährliche Reise? Was treibt ihn an? Antworten bleibt das Spiel weitgehend schuldig.
Diese emotionale Leerstelle schwächt die Erzählung merklich. Ein bisschen mehr Persönliches hätte der Geschichte gutgetan, denn so bleibt die Reise oft mehr Forschungsreise als echtes Abenteuer.
Wasser, Licht und ein Hauch von Magie
Technisch hat Amerzone – The Explorer’s Legacy ein klares Highlight: Wasser und Licht. Gerade wenn du stundenlang auf deinem Hydrafloat – einem wahnwitzigen Hybrid aus Boot, Flugzeug und U-Boot – unterwegs bist, entfaltet die Kulisse ihre ganze Kraft. Sonnenuntergänge spiegeln sich auf der Wasseroberfläche, während geheimnisvolle Nebel Schwärme bizarrer Kreaturen verhüllen. Trotz der insgesamt überschaubaren Schauplätze (Leuchtturm, Dschungel, Sumpf, Vulkan) gelingt es dem Spiel immer wieder, visuelle Magie zu erzeugen.
Doch die anfängliche Faszination nutzt sich irgendwann ab. Die Umgebungen sind atmosphärisch, aber auch statisch. Wer einmal durch die Sümpfe geschippert ist, wird auf dem Rückweg nur noch wenig Neues entdecken. So kratzt Amerzone – The Explorer’s Legacy oft am Potenzial, ohne es voll auszuschöpfen.
Rätselspaß oder Orientierungslosigkeit?
Wer Adventure-Spiele liebt, kennt das bittersüße Gefühl: das triumphale Lösen eines verzwickten Rätsels – und die pure Verzweiflung, wenn man eine halbe Stunde lang im Kreis läuft. Amerzone – The Explorer’s Legacy serviert beides.
Die Rätsel sind grundsätzlich solide designt: Meist geht es darum, Hinweise zu lesen, Mechanismen richtig zu bedienen oder herauszufinden, in welcher Reihenfolge bestimmte Aktionen erfolgen müssen. Das optionale Hinweissystem ist lobenswert: Es gibt bei Bedarf immer konkretere Tipps, ohne einem sofort alles zu verraten. Drei Mal habe ich es genutzt – und war jedes Mal dankbar.
Doch das große Problem ist die Orientierung. Die Steuerung erinnert an klassische Myst-Spiele: Man klickt sich von einem statischen Bild zum nächsten. Interaktive Objekte werden durch Symbole angezeigt – doch leider sehen wichtige Sammelobjekte und bloße Durchgänge nahezu identisch aus. Hinzu kommt, dass die Markierungen je nach Cursorposition wild herumhüpfen, was die Verwirrung zusätzlich verstärkt. Wo genau geht es weiter? Habe ich etwas übersehen? Diese Fragen begleiten dich beständig – und oft nicht auf die gute Art.
Zwar gibt es freischaltbare Karten, doch die helfen erst, nachdem du ein Gebiet vollständig erforscht hast. In einem Spiel, das auf Entdeckung und Immersion setzt, ist das ein unnötiger Stolperstein.
Der Hydrafloat: Zwischen Spielzeug und Lebensretter
Eine der cleversten Ideen von Amerzone – The Explorer’s Legacy ist das multifunktionale Fahrzeug Hydrafloat. Über Disketten (ja, richtig gelesen: Disketten) wird es nach und nach erweitert und kann dann als Boot, Flugzeug oder U-Boot genutzt werden. Diese Transformationen machen Spaß und vermitteln ein tolles Gefühl von Fortschritt. Besonders gelungen ist, wie natürlich sich diese Mechanik in die Welt einfügt – nichts wirkt erzwungen oder aufgesetzt.
Trotzdem wäre hier mehr möglich gewesen. Jede neue Fahrzeugfunktion wird genau einmal eingeführt und dann nur sehr punktuell genutzt. Gerade das U-Boot oder das Segelboot hätten spannende eigene Abschnitte verdient. Stattdessen bleibt der Hydrafloat oft bloß Mittel zum Zweck: ein Schlüssel, der das nächste Rätsel aufschließt.
Eine Welt wie aus der Zeit gefallen
Was Amerzone – The Explorer’s Legacy wirklich auszeichnet, ist seine Welt. Die seltsamen Tiere – Schwimmhäute-Giraffen, springende Helferwesen, urzeitliche Echsen – erzählen eine Geschichte, die so viel größer wirkt als die wenigen Stunden, die du hier verbringst. Unterstützt wird das durch Valembois‘ Notizbuch, das voll ist mit handgezeichneten Skizzen und Beobachtungen. Es lohnt sich, darin zu stöbern und die vielen kleinen Details zu entdecken.
Auch die Sammelobjekte, die als eigene kleine Rätsel dienen, bereichern die Spielerfahrung – zumindest, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Wer nur die Hauptstory abklappern will, wird vieles davon übersehen.
Wer sich von Amerzone – The Explorer’s Legacy überzeugen möchte, kann dies zunächst anhand der spielbaren Demo tun.