Ubisoft Quebec hat sich – und das sei den Entwicklern hoch angerechnet – an eine neue Marke herangetraut. Immortals Fenyx Rising, das ursprünglich mal Gods & Monsters heißen sollte, ist ein Action-Adventure, das auf dem Papier sehr viel ambitionierter klingt, als sein generischer Name vermuten lässt. Schließlich nimmt es sich sehr unverblümt The Legend of Zelda: Breath of the Wild, einen echten Meilenstein der Spielegeschichte, zum Vorbild. Und so viel vorweg: Wer hier Zelda-Niveau erwartet, wird enttäuscht. Trotzdem ist Immortals Fenyx Rising momentan nicht der schlechteste Zeitvertreib, um die Wartezeit auf das vielversprechende Spielejahr 2021 zu überbrücken.
Helden, Götter und schlechte Punchlines
In Immortals Fenyx Rising schlüpfen wir in die Rolle der namensgebenden Heldin oder des Helden – das Geschlecht können wir uns aussuchen – Fenyx. Wir erleiden Schiffbruch auf der sogenannten „Goldinsel“, einem mythologischen Reich, in dem der Finsterling Typhon wütet und mehrere griechische Götter gefangen hält. Also brechen wir auf, um diese zu befreien und mit ihrer Unterstützung Typhon zu bezwingen. Im Prinzip also die typische Heldenreise aus der Märchenbuch-Klischeekiste. Einen potenziell interessanten Kniff gibt es: Die Handlung wird durch Dialoge zwischen zwei Erzählern – Zeus und Prometheus – eingerahmt, die das Geschehen kommentieren. Diese Unterhaltungen aus dem Off sollen die ohnehin sehr kindgerechte Geschichte wahrscheinlich auflockern und ihr eine Prise Humor verleihen. Jedes Gespräch zwischen den beiden endet mit einer Punchline. Aber keine einzige davon ist gut. Während wir uns durch die griechische Mythologie wieseln, diskutieren Zeus und Prometheus über die Mietpreise im Olymp, fehlende Fahrstühle und darüber, ob Aphrodites Kind jetzt männlich, weiblich, oder non-binär ist. Klingt in der Theorie erstmal unterhaltsam, hat in der Praxis aber einen Cringe-Faktor sondergleichen. Dazu sei gesagt, dass sich Immortals Fenyx Rising ganz offensichtlich nicht primär an ein erwachsenes Publikum richtet, sondern eher an die Generation Fortnite. Das wird schon im Charakter-Editor deutlich, wo ihr – obwohl die Geschichte in der Antike verortet ist – euren Helden oder eure Heldin mit bunten Haaren, Dreadlocks und freshen Undercuts ausstatten könnt. Als Ü-30-Spieler gehört man also nicht zwingend zur Zielgruppe. Ich würde aber mal behaupten, dass die Dialoge auch meinem zwölfjährigen Ich zu albern gewesen wären.
Wie eingangs erwähnt, muss sich Immortals Fenyx Rising den Vergleich zu The Legend of Zelda: Breath of the Wild gefallen lassen. Schließlich haben die Entwickler zahlreiche Spielmechaniken des Nintendo-Abenteuers baukastenartig zusammengeklaubt und auf das bereits seit Assassin’s Creed Origins bestehende Grundgerüst der Anvil-Engine draufgepfropft. Es gibt jetzt eine Ausdauerleiste, die sich beim Klettern, Sprinten, Gleiten oder Schwimmen leert. Man kann Reittiere zähmen. Links Gleiter aus Breath of the Wild wird durch die Daedalus-Schwingen substituiert, mit denen Fenyx durch die Luft düst. Die Zelda-typischen Rätsel-Schreine sind hier „Typhon-Risse“, die Blutmondnächte aus Breath of the Wild heißen hier Geisterzonen. Die Liste der Parallelen ließe sich noch eine ganze Weile fortführen. Das soll an dieser Stelle aber noch keine Kritik sein. Sich von guten Spielen inspirieren zu lassen, ist ja nicht verwerflich. Entscheidend ist vielmehr die Frage: Macht Immortals Fenyx Rising etwas aus dieser Blaupause? Und viel wichtiger noch: Macht das Spiel Spaß? Die Antwort auf beide Fragen möchte ich an dieser Stelle schon einmal mit einem „jein“ spoilern.
Sammelkram und Schalterrätsel
Immortals Fenyx Rising legt einen großen Schwerpunkt auf das Lösen von Rätseln. Diese sind als Nebentätigkeiten in der offenen Spielwelt verteilt, oder finden in den eben bereits erwähnten Typhon-Rissen, welche letztendlich Dungeons sind, statt. Kreatives Rätseldesign solltet ihr allerdings nicht erwarten. Und allgemein sind die verschiedenen Rätseltypen sehr überschaubar. Mal müsst ihr Schalter betätigen, mal mit dem Bogen Zielscheiben treffen, oder mit brennenden Pfeilen Fackeln entzünden, mal Kisten bewegen, mal Objekte auf irgendwelchen Sockeln platzieren. Im Prinzip gibt es schon nach wenigen Spielstunden keine Überraschungen mehr. In den meisten Fällen ist die Lösung eines Rätsels innerhalb weniger Sekunden offensichtlich. Trotzdem, und das ist der größte Kritikpunkt, fühlen sie sich häufig unnötig zäh an. Lasst mich das anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen: Ihr seht vor euch ein Gebilde mit mehreren Punkten, von denen einige blau aufleuchten und ein Muster ergeben. Dieses müsst ihr nachbilden, indem ihr Kugeln auf dem Boden entsprechend dem Muster platziert. Das Prinzip ist also in zwei Sekunden durchschaut. Und trotzdem seid ihr jetzt weitere zehn Minuten mit diesem hochgradig trivialen Rätsel beschäftigt, weil ihr erstmal die ganzen Kugeln, die irgendwo verteilt sind, zusammensuchen müsst. Das fühlt sich dann doch sehr nach gestreckter Spielzeit an, die Immortals Fenyx Rising eigentlich gar nicht gebraucht hätte.
Immerhin winken am Ende jedes Rätsels aber Belohnungen, die sich in den meisten Fällen auch als solche anfühlen. Es gibt nämlich jede Menge Sammel-Gelöt, um Fenyx aufzupeppen. Schließen wir Typhon-Risse ab, erhalten wir Statuspunkte, um neue Fähigkeiten zu erlernen. In Schatztruhen finden wir Waffen oder Rüstungen, mit individuellen Vorteilen. Anders als in Assassin’s Creed Odyssey macht es übrigens Spaß, die Ausrüstung zu sammeln, weil wir sie nicht an jeder Ecke hinterhergeworfen bekommen und jedes Teil einzigartig ist. Und es gibt eine ganze Reihe von Items, mit denen wir Fenyx verbessern können, indem wir Lebens- oder Ausdauerleiste erhöhen und Stärkungstränke herstellen. Die Möglichkeiten, den Charakter zu entwickeln, haben einen sehr angenehmen Umfang und motivieren dazu, die Spielwelt auch abseits der handlungsrelevanten Pfade zu erkunden.
Mit steigendem Spiel- und Charakterfortschritt werden auch die Kämpfe komplexer, so richtig zünden wollen sie aber zu keinem Zeitpunkt. Das Kampfsystem fühlt sich fast eins-zu-eins an wie in Assassin’s Creed Odyssey. Fenyx beherrscht schwere und leichte Angriffe, kann mit dem Bogen schießen, lernt im Laufe des Spiels neue Attacken. Aber die schwammige Steuerung, das fehlende Trefferfeedback, die hakeligen Animationen – das alles dürfte Assassins Creed-Veteranen doch sehr vertraut vorkommen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass Immortals Fenyx Rising hier sogar noch einen spürbaren Rückschritt macht. Wenn ihr mit Pfeil und Bogen einen Gegner trefft, bekommt dieser zwar Schaden, lässt aber jegliches Trefferfeedback vermissen. Und auch auf akustischer Ebene fehlt die Wucht. Wenn ihr mit dem Schwert auf eure Widersacher einhackt, klingt es, als würdet ihr einen Pudding gegen die Wand werfen. Gutes Sounddesign hört sich anders an. Da wirkt auch die Tempest-Engine der PlayStation 5 keine Wunder.
Auch die Vielfalt der Gegnertypen lässt sehr zu wünschen übrig. Potenzielle Höhepunkte hätten zwar die Bosskämpfe sein können, in denen ihr gegen Wesen der griechischen Mythologie wie Cerberus oder Medusa kämpft. Diese sind aber – wie auch die Rätsel – eher zäh als spannend. Stellt euch darauf ein, zehn Minuten die Lebensleiste eines unspektakulären Bossgegners runterzukloppen, der euch in Endlosschleife dieselben zwei Angriffsmuster um die Ohren haut.
Etwas mehr kann dafür die Spielwelt punkten. Diese sieht zumindest in ihren besten Momenten durchaus schön aus. Vor allem das dicht bewachsene und grünflächige Zentrum der „Goldinsel“ hat etwas Magisches an sich. Auch wenn dieser Eindruck in den kargen Brachland- und Bergregionen der Insel deutlich abfällt und die Dungeons in den Typhon-Rissen Monotonie versprühen, weil sie jedes mal baugleich sind. Wenn es einen Fotomodus gäbe, könnte man aber problemlos Wallpaper-taugliche Screenshots von hübschen Szenerien machen. Alles in allem ist Immortals Fenyx Rising auf visueller Ebene ein gelungenes Gesamtpaket mit einer eigenen Handschrift. Auf der PlayStation 5 könnt ihr übrigens zwischen einem Performance- und einem Grafik-Modus wählen. Der Performance-Modus läuft in geschmeidigen 60 Frames mit wahrscheinlich dynamischer Auflösung. Der Grafik-Modus ist höher aufgelöst. Ohne Pixel gezählt zu haben, würde ich mal native 4K vermuten. Was allerdings ein bisschen schade ist: Trotz hoher Auflösung wirken die Texturen der Landschaft teilweise matschig. Laut Publisher soll der Grafik-Modus bis zum Release des Spiels noch ein Update erhalten. Es wäre also möglich, dass hier noch ein Patch mit UHD-Texturen kommt. Zu wünschen wäre es. Die Power der PlayStation 5 reizt Immortals Fenyx Rising nämlich keinesfalls aus. Macht aber auch nix – ist ja cross-gen und soll auch auf der PlayStation 4 laufen. Das audiohaptische Feedback des DualSense kommt auf der PlayStation 5 übrigens nicht zum Einsatz.
Die Open World von Immortals Fenyx Rising hat eine angenehme Größe. Sie ist wesentlich überschaubarer und weniger aufgebläht als die Spielwelten der letzten Assassins Creed-Iterationen, aber ausreichend groß, um euch über viele Stunden hinweg zu beschäftigen. Für die Hauptstory könnt ihr 20 bis 30 Stunden einplanen, wer auf eine Platintrophäe aus ist, kann sich auch deutlich länger auf der „Goldinsel“ austoben. Ubisoft macht es Trophäen-Jägern auf der PlayStation 5 übrigens angenehm leicht: Über das „Aktivitäten“-Feature der neuen PlayStation 5-Benutzeroberfläche bekommt ihr Hinweise zu den erforderlichen Zielen, die ihr für eine Trophäe erreichen müsst, und könnt direkt aus dem Home-Menü an die entsprechende Stelle des Spiels springen. Trotzdem ist Immortals Fenyx Rising mit steigender Spielzeit ermüdend. Die typische Ubisoft-Formel trieft aus allen Poren: Nach zwei bis drei Stunden habt ihr alles gesehen, was das Spiel zu bieten hat. Der Rest ist Redundanz. Das kann für diejenigen befriedigend sein, die gerne Kleinkram sammeln und Icons auf der Karte abhaken. Vielleicht muss man sich auch darauf einlassen. Der Umstand, dass Immortals Fenyx Rising insgesamt sehr seelenlos wirkt und keine eigenen Ideen mitbringt, macht das aber nicht unbedingt leicht.
"Der größte Vorwurf, den man "Immortals Fenyx Rising" machen kann, ist die Mittelmäßigkeit in allen Bereichen. Spielwelt, Rätsel, Kämpfe, Story - alles ist irgendwie vorhanden und funktioniert, aber nichts davon sticht merkbar hervor. Die 20+ Stunden Spielzeit fühlen sich zu großen Teilen eher nach Beschäftigung als nach Spielspaß an, weil viele Elemente zigfach recycelt werden und nie so richtig rocken. Das Gesamtergebnis ist ausreichend solide, um auch nach Abschluss der Hauptstory noch ab und an mal reinzuschnuppern. Der große Wow-Effekt bleibt aber aus."
by Toni
"Nach ersten Updates hat sich Immortal Fenyx Rising inzwischen gemacht und Mängel wie die etwas holprige Steuerung wurden beseitigt. Hauptsächlich kommt es mir so vor, als hätte der Titel ein leichtes Identitätsproblem und weiß nicht, welches Publikum er ansprechen möchte. Der bunte Look mit den Disney-like Figuren trifft auf ein komplexes und tiefgreifendes RPG-System, das zudem einen knackigen Anspruch bei den Herausforderungen hat. Das sind zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen, die sich jeweils nur mit einer Seite der Medaille anfreunden können. Die Sache mit dem Humor ist natürlich sehr subjektiv, man kann durchaus darüber schmunzeln und erlebt charmante Momente, dass er aber selbst 12-jährigen "zu albern" ist, glaube ich nicht, zumal auch die deutsche Synchronisation recht ansprechend umgesetzt wurde. Sollte es Ubisoft schaffen, den Titel insbesondere aus visueller Sicht, noch etwas erwachsener zu machen, hat Immortal Fenyx Rising sicherlich großes Potenzial, aber auch so wird man schon jetzt sehr gut und vor allem mit viel Spielzeit in einem spannendem Setting unterhalten, welches Spaß macht zu erkunden."
by Trooper