TEST: Scarlet Nexus – Futuristisches JRPG mit tollem Design

By Jonas Herrmann Add a Comment
11 Min Read

Schon vor einigen Wochen hatte ich die Möglichkeit, Bandai Namcos nächstes großes JRPG Scarlet Nexus im Rahmen einer Preview anzuspielen. Neben der tollen Welt lobte ich damals auch das flüssige Kampfsystem. Allein die Geschichte und die Inszenierung dieser waren Punkte, die mir Sorgen bereiteten und die ich noch nicht abschätzen konnte. Nun konnte ich Scarlet Nexus in seiner Release-Fassung in den letzten Tagen ausführlich spielen, um diese Punkte zu klären. Wie sich das neue JRPG schlägt, erfährt in unserem Test.

Worum geht es in Scarlet Nexus?

Bevor ich zur Bewertung der einzelnen Mechaniken komme: ein kurzer Recap, worum es in Scarlet Nexus eigentlich geht: In einer alternativen Welt haben sogenannte „Andere“ unbekannter Herkunft beinah für die Auslöschung der Menschheit gesorgt. Nur durch neu entdeckte psionische Kräfte mancher Menschen konnte die Extinktion aufgehalten werden. 

Scarlet Nexus

Viele Jahre später leben die Menschen in futuristischen Mega-Citys und sind über Brain-Link miteinander verbunden. Der Brain-Link ist eine Art AR-Netzwerk, durch das Menschen lautlos kommunizieren können, durch das aber auch Werbe- und Nachrichten-Bildschirme direkt ins Sichtfeld der Menschen eingeblendet werden. Da die Bedrohung durch die Anderen nach wie vor gegeben ist, hat sich eine Spezialeinheit gebildet, in der besonders begabte Psioniker ausgebildet werden. 

Wir haben nun vor Spielstart die Möglichkeit, aus zwei Charakteren zu wählen. So oder so beginnen wir die Geschichte als Anwärter dieser Spezialeinheit.

Zwei Seiten einer Medaille

Die Wahl der Hauptfigur ist aber nicht nur rein kosmetischer Natur. Beide Charaktere, die stumme Kasane und der heldenhafte Yuito, erleben eine ganz eigene Geschichte, die natürlich miteinander verwoben ist. Hier erkannte ich schon vorher sehr großes Potenzial für Scarlet Nexus. Die selbe epische Geschichte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zu erleben, Hintergründe und Motivationen herausfinden: das alles klang für mich sehr verlockend – wenn die Entwickler das Potenzial denn auch ausschöpfen. Nichts wäre enttäuschender, als wenn die Storys einfach parallel verlaufen würden.

Die gute Nachricht vorweg: den Entwicklern gelingt das wirklich gut! Es kommen Missverständnisse auf, die ich nur in einer der beiden Storys verstehen kann. Auch die Entscheidungen der beiden Figuren sind aus der jeweils gegenüberliegenden Perspektive heraus oft nicht zu verstehen. Wenn man dann aber sieht, weshalb es so oder so gekommen ist. ist das wirklich befriedigend.

Scarlet Nexus fight

Scarlet Nexus bietet also gewissermaßen zwei Spiele in einem oder gehört zu den Spielen, bei denen sich ein zweiter Durchlauf wirklich lohnt. Trotzdem bin ich dabei ein bisschen hin- und hergerissen. Ich finde den mutigen Ansatz klasse und finde durch den engeren Fokus auch besser in die gewählte Figur hinein. Dennoch fragte ich mich immer wieder, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, beide Geschichten in einem Durchlauf zu erzählen, etwa mit wechselnden Perspektiven.

Nicht, dass ich nicht Fan von der radikalen Trennung wäre, ich frage mich nur, wer letztendlich beide Geschichten erleben wird. Gerade der Beginn des Spiels ist relativ schleppend. Wer da mal durch ist, wird vielleicht wenig Lust haben, das Ganze nochmal zu wiederholen. Gleichzeitig hat Scarlet Nexus auch so schon einen ordentlichen Umfang, und nur wirklich große Fans dürften bereit sein, das Ganze noch einmal zu erleben.

Ich finde letztendlich, dass man Bandai Namco hier für den Mut loben muss. Sie vertrauen ihrem Spiel offenbar so weit, dass sie davon ausgehen, dass ein Teil der Geschichte genug ist oder dass Spieler gerne einen zweiten Anlauf nehmen.

Wie sieht es mit der Geschichte aus?

Um die Geschichte hatte ich mir nach der Anspielsession ein wenig Sorgen gemacht. Der Einstieg überzeugt nicht unbedingt mit dem Höchsten der Erzählkunst, alles wirkte zwar schon interessant, aber eben auch ein wenig Belanglos. 

Am Anfang hat sich natürlich in der kurzen Zeit nichts mehr geändert. Ich kann aber, ohne damit irgendetwas zu spoilern, verraten, dass die Story nach ein paar Stunden ordentlich an Fahrt aufnimmt. Die ersten vier bis fünf Stunden dienen vor allem dem World-building und der Einführung der vielen Charaktere. Nach einiger Zeit kommen dann die ersten (wirklich coolen) Plot-Twists und die Grundvoraussetzung ändert sich gewissermaßen komplett.

Scarlet Nexus city

In meiner Preview hatte ich geschrieben, dass mit der Geschichte letztendlich die Qualität von Scarlet Nexus steht und fällt. Hier gibt es für mich wirklich nichts zu bemängeln. Wer Sci-Fi und/oder Anime mag, wird hier gut unterhalten werden. Auch darüber hinaus geht es um Themen wie Moral und Freundschaft, mit denen eigentlich alle etwas anfangen können.

Fliegende Autos

Okay, hier muss ich zurückrudern. Es gibt keine fahr- oder fliegbaren Autos in Scarlet Nexus. Die Fahrzeuge lernen nur durch die psionischen Fähigkeiten von Kasane und Yuito fliegen. Ihre Fähigkeit erlaubt es nämlich, quasi alles, was nicht niet- und nagelfest ist, durch die Luft und auf Gegner zu schleudern. Die Psi-Angriffe kombinieren wir mit Nahkampfattacken, Sprungschlägen und besonderen Fähigkeiten, die wir uns von unseren Begleitern leihen können, zu atemberaubenden Kombos. 

Die Kämpfe unterhalten durch die gesamte Spielzeit hindurch durch ihre fetzige Inszenierung und ihr ungewohntes Gameplay. Neue Skills und Fertigkeiten können wir nach Levelaufstiegen in einem Skill-Tree freischalten. Der Skill-Tree, hier “Hirnkarte” genannt, wächst im Laufe des Spiels und ermöglicht eine gute Spezialisierung und belohnt einen so gut wie immer mit sichtbaren Veränderungen im Spielablauf. Die meiste Zeit bekämpfen wir „Andere“ und teilweise auch Psioniker und Soldaten in den recht linearen Hauptmissionen, es gibt ein paar Nebenmissionen, die aber über “gehe dort hin und bringe mir dies” nicht hinausgehen. 

Die Level sind dabei relativ schlauchartig gehalten, genau wie die Hubwelten, in denen wir uns zwischen Missionen recht frei bewegen können. Später im Spiel gibt es auch Abschnitte mit einer abwechslungsreicheren Level-Architektur. Hier hätte ich den Entwicklern mehr Mut gewünscht, die Welt bleibt zu häufig unbelebte Kulisse für die Kämpfe. Da diese aber Spaß machen, fällt das nicht allzu schwer ins Gewicht.

Scarlet Nexus ps5

Auch die soziale Komponente möchten die Entwickler bedienen. So können wir unseren Mitstreitern zwischen Einsätzen kleine Geschenke machen und längere Gespräche mit ihnen führen. Dadurch steigt unser Vertrauen zu den Figuren und wir haben im Kampf neue Möglichkeiten. Da wir in den Gesprächen keinerlei Antwortmöglichkeiten wählen können und auch die Geschenke pro Figur ziemlich lieblos im Shop angeboten werden, funktioniert dieses Bonding-System nicht ganz so gut wie etwa in Persona 5.

Oh, und durch den Kauf verschiedener Kostüme lässt das Spiel sich auch anpassen. Tragen erstmal alle auftretenden Charaktere coole Sonnenbrillen, ist der Ton gleich ein anderer!

Zwischen Euphorie und Dystopie

Ich habe es zuvor schon einmal gesagt und ich sage es wieder: diese Welt, die die Entwickler “Brainpunk” getauft haben, ist absolut atemberaubend! Auch wenn die Umgebungen eine recht sterile Kulisse sind, vermitteln sie ein wahnsinnig starkes Gefühl von Futurismus und Großstadt. 

Manche der Gebäude sind so hoch, dass die Spitze gar nicht zu sehen ist, überall sind Bildschirme angebracht, alles blinkt und leuchtet. So muss eine Zukunftsvision der Next-Gen einfach aussehen! Auch die äußeren Areale passen dabei hervorragend ins Gesamtbild. Ob wir nun auf einer verlassenen Baustelle, in einem geheimen Labor oder in der Großstadt selbst kämpfen, die Umgebungen haben Charme und Stil, man merkt, wie viel Liebe und Arbeit in diese Vision geflossen ist. Der tolle Soundtrack untermalt gekonnt jeden Moment und wird mir sicher noch lange in den Ohren bleiben.

Auch das Gegner-Design ist auf allerhöchstem Niveau. Die „Anderen“ sind gleichzeitig abstoßend und faszinierend. Bei den Figuren bedient Scarlet Nexus vielleicht ein paar mal zu oft gängige Klischees, es sind aber auch wirklich ein paar sehr interessante Charaktere dabei. Im Vorfeld hatten einige die These aufgestellt, dass uns hier ein Spiel auf dem Niveau eines Persona 5 erwarten könnte. Auch wenn manche Punkte tatsächlich dafür sprechen, sind es letztendlich die Details, an denen der Unterschied am stärksten auszumachen ist. 

Scarlet Nexus gameplay

Geschäfte können nicht betreten werden, ich kann keinerlei Entscheidungen treffen und auch die (übrigens wirklich solide übersetzten) Dialoge versprühen nicht ganz den Charme von P5. Die Messlatte ist aber auch wirklich hoch und Scarlet Nexus wird sicherlich vielen Spielern ähnlich viel Spaß bereiten wie das JRPG von Atlus. Besonders, wer sich, wie ich, für die mysteriös-abgedrehte Welt erwärmen kann, wird stundenlang Freude daran haben, die Hintergründe der Welt und der Ereignisse zu entschlüsseln.

Technisch alles sauber?

Scarlet Nexus erscheint am 25. Juli sowohl direkt auf PS5, als auch auf PS4 (mit PS5-Upgrade). Das Spiel läuft absolut flüssig und problemlos, auch auf der Standard-PS4. Die Effekte sind wirklich hübsch und über die Umgebungen habe ich ja schon gesprochen. Die Kamera ist manchmal ein bisschen hakelig, besonders in überfüllten Innenräumen kann das schon mal stören, es passiert aber nicht oft genug, um einem ernsthaft den Spaß zu verderben. 

Alle Texte sind auf deutsch und gut übersetzt. Die Sprachausgabe kann sowohl auf Englisch, als auch auf Japanisch eingestellt werden. Die englischen Synchronstimmen machen einen wirklich guten Job und heben dadurch die teilweise schwache Inszenierung wieder ein Stück weit auf. Die meisten Dialoge finden nämlich in animierten Comics statt, was natürlich weniger mitreißend ist als die animierten Zwischensequenzen.

Über die japanischen Sprecher kann ich aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen nicht viel sagen. Sie klingen gut, wer das Spiel also im Original erleben möchte, kann das ebenfalls tun.

TEST: Scarlet Nexus – Futuristisches JRPG mit tollem Design
Fazit
"Ich hatte wirklich viel Spaß mit Scarlet Nexus! Sobald man die ersten Stunden hinter sich hat und die Story sich entfaltet, wird man wirklich erstklassig unterhalten. Der Ansatz mit den beiden unterschiedlichen Geschichten ist gewagt, geht dank der cleveren Umsetzung aber wirklich überraschend gut auf. Der Mix aus Kloppen, Elementarangriffen und “schweres Zeug durch die Gegend werfen” unterhält lange und bietet durch immer neue Aktionen und Fähigkeiten ausreichend Tiefgang. Auch die vielen verschiedenen Gegner bieten abwechslungsreiche Herausforderungen und zwingen uns, zumindest rudimentär strategisch zu denken. Die Geschichte wird sicher nicht jedermanns Sache sein, sie ist aber grundsolide und wartet mit einigen Überraschungen auf. Der große Star ist aber eindeutig die fantastische Welt, die technisch sauber umgesetzt wird und vor Stil nur so trieft. Wem die Bilder und Videos zusagen, wer eine Schwäche für Sci-Fi Geschichten, JRPGs oder Anime hat, sollte sich Scarlet Nexus auf keinen Fall entgehen lassen!"
Plus
Atemberaubend stilvolle Welt
Unterhaltsames Kampfsystem mit Psi-Fähigkeiten
Abgedrehtes Gegnerdesign
Wendungsreiche Geschichte
Möglichkeit, die Geschichte aus zwei Perspektiven zu erleben
Klasse Soundtrack
Minus
teilweise recht langweilige Level-Architektur
Welt recht steril
teilweise Probleme mit der Kamera
8.7
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