TEST: Bionic Bay – Ein Indie-Erlebnis zwischen Genie und Grausamkeit

Bionic Bay im Test: Brutal schwer, wunderschön inszeniert – ein Indie-Plattformer zwischen Frust und Faszination, der 2025 zum weiteren Geheimtipp werden könnte.

Lukas Neumann
Junior Editor bei PlayFront.de – frisch in der Branche, aber mit scharfem Blick und spitzer Feder. Zockt, schreibt, seziert – immer auf der Jagd nach der...
7 Min. Lesen

Es gibt Spiele, die einem alles beibringen – außer Geduld. Bionic Bay von Psychoflow Studio ist so ein Spiel, das sich nach Blue Prince (unser Review) um die Indie-Krone in diesem Jahr bewirbt. Ein gnadenloser, wunderschöner Albtraum, der keine Gnade kennt, aber auch nicht unfair ist. Es bestraft, aber nur, wenn du’s verdient hast. Oder weil du gerade nicht aufgepasst hast. Oder weil die Spielphysik dir mal wieder gezeigt hat, dass Schwerkraft kein Gnadenrecht kennt.

Dabei stellt sich eine grundsätzliche Frage: Müssen Spiele einfach sein? Nein. Aber sie sollten den Spieler ernst nehmen – ihn nicht mit der Nase auf die Lösung drücken, sondern ihm den Freiraum geben, sie selbst zu finden. Und genau das tut Bionic Bay: Es führt dich nicht an der Hand, es stößt dich in eine Grube und schaut dann zu, ob du lernst, wie man springt.

Ein Experiment geht schief – wie immer, nur schöner

Die Geschichte beginnt mit einem klassischen Sci-Fi-Motiv: Ein Wissenschaftler und sein Team entdecken ein geheimnisvolles Artefakt, das aussieht wie das Ei eines Maschinen-Gottes. Natürlich explodiert alles, natürlich wird der Protagonist in eine fremde Welt katapultiert, und natürlich beginnt die eigentliche Geschichte da, wo Wissenschaft längst kapituliert hat.

Was folgt, ist eine Reise durch eine biomechanische Welt, die sich anfühlt wie das Tagebuch eines verstörten Designers, der sich irgendwo zwischen Limbo, Super Meat Boy und einem Schweizer Uhrwerk verloren hat. Der Spieler durchquert verwunschene Wälder, rostige Fabrikruinen, surreale Hightech-Tempel. Alles ist wunderschön – und tödlich. Alles wirkt fremd – und doch vertraut. Ein Ort, der mit jedem Bildschirmflackern schreit: „Hier gibt’s keine Gnade.

Teleportieren, tauschen, trotzen

Die große Stärke von Bionic Bay liegt nicht im klassischen Leveldesign oder im Geschichtenerzählen – es liegt in seinen Spielmechaniken. Nach dem Fund eines mysteriösen Artefakts kann der Protagonist plötzlich mit Objekten den Platz tauschen, die Gravitation überlisten oder sich durch Hindernisse teleportieren. Klingt nach Superkraft – fühlt sich aber eher an wie ein Physiktest unter Zeitdruck.

Denn das Spiel zwingt dich, diese Fähigkeiten auf kreative Weise zu nutzen. Es gibt nicht „den einen Weg“ durch ein Level. Nur Lösungen, die du dir hart erarbeiten musst. Mal ist es cleverer, langsam vorzugehen und sich jeden Schritt zu überlegen, mal hilft nur ein beherzter Sprung ins Chaos – in der Hoffnung, dass man am anderen Ende lebend rauskommt. Es ist dieses Spiel mit Möglichkeiten, das Bionic Bay so faszinierend macht.

Sterben gehört bei Bionic Bay übrigens zum Alltag. Nicht gelegentlich, sondern im Sekundentakt. Eine Laserfalle hier, eine Kreissäge da, ein harmlos aussehender Vorsprung, der dich beim nächsten Schritt in eine Tiefe stürzt, die nur der Tod kennt. Die gute Nachricht: Das Spiel verzeiht. Die Checkpoints sind fair, die Ladezeiten blitzschnell, und eine praktische Zurückspulfunktion lässt dich jederzeit einen neuen Versuch starten.

Allerdings gibt es keine Schwierigkeitsgrade. Kein „Easy Mode“. Kein Gnadenbrot. Wer hier überleben will, muss lernen – oder aufgeben. Das macht den Titel für Gelegenheitsspieler riskant, für Hartgesottene jedoch zur reinen Freude.

Atmosphäre zum Niederknien

Was Bionic Bay visuell bietet, ist bemerkenswert. Die Pixelart ist keine retro-verklärte Nostalgie-Show, sondern ein durchdachtes Stilmittel. In jedem Frame steckt Atmosphäre, jedes Biome wirkt lebendig und gleichzeitig surreal. Licht- und Partikeleffekte sorgen für eine fast tranceartige Immersion. Es ist ein Spiel, das nicht schreit, sondern flüstert – mit Bildern, die sich ins Gedächtnis brennen.

Die Kameraarbeit verdient ebenfalls ein Lob: Szenenübergänge wirken filmisch, Perspektivenwechsel setzen gezielt emotionale Akzente. Oft fühlt sich Bionic Bay eher an wie ein spielbarer Kurzfilm als ein klassisches Jump ’n’ Run. Besonders in Kombination mit dem durchdachten Soundtrack entsteht eine Stimmung, die selten in Indie-Games so eindringlich transportiert wird.

Der Soundtrack von Bionic Bay wirkt hingegen wie eine zarte Gegenkraft zur Härte des Gameplays. Während dein Bildschirmtod zehnfach aufblinkt, spielt im Hintergrund ein melancholisches Orchester, als wollte es sagen: „Ist nicht schlimm, versuch’s nochmal.“ Dieser Kontrast aus visueller Härte und akustischer Sanftheit ist überraschend effektiv. Er entspannt, wo andere Spiele Frust schüren.

Physik, Ragdoll und das perfekte Timing

Im Zentrum von Bionic Bay steht die Physik. Alles, was du tust, hat Konsequenzen. Ein Objekt falsch platziert? Tot. Zu früh gesprungen? Tot. In die falsche Ecke teleportiert? Tot, plus Box auf dem Kopf. Die Spielwelt reagiert auf dich – im Guten wie im Schlechten. Das Ragdoll-System sorgt für herrlich absurde Todesanimationen, die auch mal für Lacher sorgen, selbst wenn man sich innerlich fragt: „Was zur Hölle war das jetzt wieder?“

Die Steuerung ist präzise, aber verlangt Timing. Und Geduld. Denn nicht selten reicht ein einziger Wimpernschlag zu früh oder zu spät, und du darfst den Level von vorne angehen. Aber: Es fühlt sich nie unverdient an. Das Spiel ist hart, aber fair – ein feiner Grat, den nur wenige Indie-Games wirklich meistern.

Für alle, die Bionic Bay nicht nur überleben, sondern dominieren wollen, bietet der Titel einen ausgeklügelten Speedrun-Modus mit Bestenlisten und zeitbasierten Herausforderungen. Nach Abschluss der Kampagne – die etwa 8 bis 9 Stunden dauert – öffnet sich ein weiteres Spielfeld für alle, die Rekorde brechen und ihre Reflexe auf die Probe stellen wollen.

Der Speedrun-Fokus ist kein Gimmick, sondern clever ins Spieldesign integriert. Jede Passage, jedes Hindernis lässt sich mit Übung optimieren. Wer das Spiel also nicht nur bezwingen, sondern perfektionieren will, bekommt hier genug Stoff für viele weitere Stunden.

Fazit

WebP Alternative
TEST: Bionic Bay – Ein Indie-Erlebnis zwischen Genie und Grausamkeit
Schmerzhaft schön – und genau deshalb lohnenswert
"Bionic Bay ist kein Spiel für jeden – aber für alle, die das Spielerlebnis über Belohnungssysteme stellen. Es ist fordernd, erbarmungslos, künstlerisch beeindruckend und voller Ideen. Die Geschichte bleibt im Hintergrund, aber das Gameplay spricht Bände. Wer bereit ist, sich durch eine Welt voller Fallen zu kämpfen, wird mit einer einzigartigen Mischung aus Herausforderung und Atmosphäre belohnt. Ein technisches Kunstwerk mit Herz und Haltung – vielleicht eines der schönsten, komplexesten und überraschend ruhigsten Indie-Spiele des Jahres 2025."
Plus
Wunderschöne, atmosphärische Welt
Kreative Physikmechaniken
Starker Speedrun-Fokus
Minus
Kein Schwierigkeitsgrad auswählbar
Story bleibt blass
Ragdoll-Physik manchmal hinderlich
8
Diesen Artikel teilen

(*) PlayFront.de verwendet Affiliate-Links von bekannten Shops und Plattformen. Wenn ihr über diese Links einkauft, bekommen wir eine kleine Provision. Für euch kostet das keinen Cent mehr, aber ihr tut uns trotzdem einen Gefallen – Win-win, oder? Danke dafür!

Abonnieren
Benachrichtigen Sie mich bei
Checkbox
0 Comments
Neuestes
Älteste Meistgewählt
Inline-Rückmeldungen
Alle Kommentare anzeigen
gameconfect ad
0
Dein Kommentar dazu interessiert uns!x
de_DEGerman